Objekt des Monats September 2024
Sunda-Plumplori Nyctocebus coucang (Boddaert, 1785)
Vor einigen Jahren sorgte ein Video eines in Gefangenschaft gehaltenen Plumploris im Internet für Furore: Der Halbaffe schien genüsslich zu grinsen, als er gekitzelt wurde, und streckte dabei seine Arme über den Kopf. Er wirkte dabei so niedlich, dass viele sich einen Plump- oder Schlanklori als Heimtier wünschten. Dieser Clip trug dazu bei, dass Tausende der kleinen Primaten in den Wäldern gefangen und auf Märkten und online angeboten wurden. Mittlerweile wurde er glücklicherweise gelöscht.
Tatsächlich war dieser Plumplori nämlich keineswegs entspannt, sondern nahm eine Drohstellung ein: Mit gebleckten Zähnen zischend und mit gestreckten Armen hin und her wiegend imitierte er das Verhalten einer verteidigungsbereiten Schlange (Kobra-Mimikry). Bei einer weiteren Steigerung des negativen Reizes hätte er wahrscheinlich zugebissen. Plumploris sind die einzigen bekannten giftigen Primaten!
Die asiatischen Loris sind extrem an eine kletternde Lebensweise angepasst: Ein spezielles in Händen und Füßen ausgebildetes Kapillaren-Netzwerk ermöglicht es ihnen, sich stundenlang an Ästen festzuhalten, ohne das Gefühl zu verlieren. So können sie bewegungslos verharren, wenn sie sich an Beute anpirschen oder sich entdeckt fühlen. Zusätzlich sind Finger und Zehen modifiziert, um einen festen Griff im Geäst zu garantieren. Im Gegensatz zu den meisten Primaten besitzen sie aber kein Sprungvermögen, sondern bewegen sich langsam in Höhen von 0,5 bis 30 (meist 3 bis 5) Meter durch die Bäume. Sie bevorzugen dünne Äste und Lianen, auf denen die meisten Feinde ihnen nicht folgen können. Nur im äußersten Notfall bewegen sie sich am Boden fort, nach Möglichkeit mit einer Hand im schützenden Astwerk.
Plumploris ernähren sich überwiegend vegetarisch, fangen aber ab und zu auch Gliedertiere (Arthropoden) und kleine Wirbeltiere. Die Aufnahme von Pflanzensäften, Nektar und Früchten macht einen Großteil ihrer Nahrung aus. Mit ihrem kräftigen Gebiss können sie starke Bambushalme aufbeißen und vertilgen neben dem Mark auch im Innern enthaltene Larven und sonstige Kleintiere. Auf die gleiche Weise gelangen sie auch an Baumsäfte und Harze. Durch ihre Nagegeräusche lassen sich Plumploris im Wald relativ leicht orten.
Als natürliche Fressfeinde sind große Pythons und Greifvögel, Nebelparder, Malaienbär und kurioserweise der Sumatra-Orang-Utan bekannt. Der größte Feind ist aber der Mensch: Regenwaldzerstörung, Jagd und Wildtierhandel sind mit Abstand die größten Bedrohungen für Plumploris und zahlreiche andere Arten, die sich aber abstellen ließen, wenn der intelligenteste Primat sein großes Gehirn mit etwas mehr Weitsicht einsetzen würde.
Unser Exemplar wurde Anfang 1955 durch A. Werner vermutlich auf einem Wildtiermarkt in Kalkutta gekauft und nach Deutschland importiert. Laut Etikett wurde es vom Schaustellerbetrieb Heppenheimer übernommen, der bis 1963 mit einem Zirkus die Volksfeste bereiste und auch auf der Münchner Wiesn zu sehen war. Der männliche Sunda-Plumplori überlebte nur etwa ein Jahr, starb bereits Ende April 1956 und wurde der ZSM überlassen. Zu dieser Zeit war erst wenig über das Verhalten und die Bedürfnisse dieses hochspezialisierten Waldbewohners bekannt, was vermutlich zu seinem frühen Tod führte.
3 Fakten über Plumploris
- Die Familie Lorisidae setzt sich aus den beiden asiatischen Schlankloris (Loris), mindestens neun Plumploris (Nycticebus) sowie aus zwei afrikanischen Bärenmaki- (Arctocebus) und drei Potto-Arten (Perodicticus) zusammen.
- Vorsicht Gift: Plumploris sind die einzigen giftigen Primaten. Sie produzieren in einer Drüse der Achselbeuge ein Sekret, das mit Speichel vermischt seine toxische Wirkung entfaltet. Die Halbaffen nutzen es zur Abwehr von Parasiten, aber auch von Prädatoren. Weibchen speicheln ihr Jungtier ein, wenn sie es nachts in einem Versteck zurücklassen, um sich auf Futtersuche zu begeben.
- Illegaler Handel: Obwohl das CITES-Abkommen mit der Hochstufung aller Nycticebus-Arten in den höchsten Schutzstatus (Anhang I) seit 2007 den internationalen Handel mit Plumploris aus der Wildnis verbietet, wurden seither zigtausende der Tiere illegal gehandelt. Wie drei andere Arten seiner Gattung gilt auch der Sunda-Plumplori als stark gefährdet; drei weitere Arten werden als gefährdet und zwei als vom Aussterben bedroht gelistet.
Abbildungen
Abb. 1: Die großen Augen zeichnen den Sunda-Plumplori als nachtaktive Art aus. Foto: M. Unsöld
Abb. 2: Die Sunda-Plumplori-Dermoplastik der ZSM. Foto: M. Unsöld
Abb. 3: Ein schöner Rücken kann auch entzücken… Der Sunda-Plumplori ist eine besonders »bunte« Art der Gattung Nycticebus. Foto: M. Unsöld
Abb. 4: Eine Hand mit opponierbarem Daumen zum Greifen ist typisch für die meisten Primaten. Foto: M. Unsöld
Abb. 5: Das Etikett aus dem Eingangsjahr 1950. Foto: M. Unsöld
Abb. 6: Die Naturwissenschaftliche Zeichnerin Barbara Ruppel hat dem ZSM-Präparat schon vor einigen Jahren neues Leben eingehaucht.
Literatur
Burgin, C.J., Wilson, D.E., Mittermeier, R.A., Rylands, A.B., Lacher, T.E. & Sechrest, W. (2020) Illustrated Checklist of the Mammals of the World. Volume 1: Monotremata to Rodentia. Lynx Edicions, Barcelona.
Mittermeier, R.A., Rylands, A.B. &Wilson, D.E. eds. (2013) Handbook of the Mammals of the World. Vol 3. Primates. Lynx Edicions,Barcelona.
Markus Unsöld (Sektion Ornithologie)