Objekt des Monats Oktober 2024
Wandertaube Ectopistes migratorius (Linnaeus, 1766)
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Wandertaube mit einer Population von geschätzten 4 – 6 Milliarden Individuen der zahlenmäßig häufigste Wildvogel der Welt, allerdings beschränkt auf den nordamerikanischen Kontinent. In riesigen, dicht gedrängten Schwärmen zogen die Tauben durchs Land; im größten bekannten Schwarm, der eine Breite von 2 Kilometern und eine Länge von 20 Kilometern betrug, befanden sich geschätzt über 2,2 Milliarden Vögel! Bereits Stunden vor ihrem Eintreffen war das Schlagen ihrer Schwingen zu hören, der Lärm nahm zu je näher sie kamen, bis schließlich Hunderte von Millionen Vögeln ein tosendes Donnern erzeugten und die Sonne verfinsterten. Eine Naturgewalt, die unzerstörbar schien!
Wandertauben waren für viele Prädatoren wichtige Beutetiere. Doch der Mensch stellte der Art in einem unglaublichen Umfang und auf verschiedene Arten nach: ganze Schwärme wurden in Fangreusen getrieben, mit modernen Schusswaffen abgeschossen oder im niedrigen Flug mit langen Stangen erschlagen. Große Waldbestände mit den Brutkolonien wurden gefällt, um an die fetten, schmackhaften Taubennestlinge zu kommen. Über die Reste wurden Schweineherden getrieben, die die Reste fraßen. Das Fleisch der Wandertauben war regional zeitweise das Hauptnahrungsmittel, weil es billig und in großen Mengen zu haben war.
Innerhalb von etwa hundert Jahren waren die Bestände so geschröpft, dass nur noch kleine Schwärme und Einzelvögel vorhanden waren. 1904 wurde der letzte bekannte Wildvogel geschossen. Es gab nur noch vereinzelte Wandertauben bei privaten Haltern und in Zoos, und mit dem Tod der letzten Taube im Zoo von Cincinnati galt die Art als erloschen.
In der ZSM sind insgesamt 4 Wandertauben erhalten: Ein Standpräparat eines Täubers und zwei Täuber und eine Taube als Balg. Leider sind außer »Nordamerika« keine weiteren Daten erhalten.
4 Fakten über die Wandertaube
- Von Milliarden auf Null: Innerhalb von nur etwa hundert Jahren haben es die Amerikaner geschafft, die zahlenmäßig häufigste Vogelart der Welt bis zum Artentod zu jagen. 1904 wurde die letzte bekannte wilde Wandertaube von dem vierzehnjährigen Press Clay Southworth geschossen. Das ausgestopfte Tier bekam Knöpfe als Augen und daraus den passenden Namen »Buttons«. Seit 1915 befindet es sich im Ohio History Center in Columbus.
- Martha, das letzte Individuum ihrer Art und benannt nach der ersten First Lady Amerikas, Martha Washington, starb am 1. September 1914 im Alter von 29 Jahren im Zoo von Cincinnati (siehe unser Mai-Objekt). Sie wurde in einen Eisblock eingefroren und ins Smithsonian Institute nach Washington geschickt, wo sie noch heute zu sehen ist.
- Mit etwa 1500 Präparaten in den Museen der Welt und bei Privatsammlern ist die Wandertaube die zahlenmäßig am besten vertretene ausgerottete Vogelart der Welt.
- De-extinction, die Wiederbelebung ausgerotteter Arten, ist auch für der Wandertaube in Planung. Mit genetischem Material aus Wandertauben-Präparaten und nahe verwandten Arten wie der Schuppenhalstaube Patagioenas fasciata versucht man, einen wandertaubenähnlichen Vogel zu klonen. Ob es sinnvoll ist, riesige Summen an Geld und Arbeitskraft in eine solche »Spielerei« zu stecken anstatt in den Schutz der vielen vom Aussterben bedrohten Arten, die noch zu retten wären, darüber lässt sich streiten… Sicher ist, dass selbst wenn eine Wiederbelebung der Art gelingen sollte, der Vogel kaum mehr die Chance haben wird, wie früher in der Wildnis zu leben.
Abbildungen
Abb. 1: Die Wandertauben-Dermoplastik der ZSM. Foto: M. Unsöld
Abb. 2: Ein Wandertaubenpaar als Bälge. Foto: M. Unsöld
Literatur
Fuller, E. (2015) The Passenger Pigeon. Princeton University Press, Princeton and Oxford
Kegel, B. (2021) Ausgestorbene Tiere. DuMont Buchverlag, Köln
Markus Unsöld (Sektion Ornithologie)