Objekt(e) des Monats April 2025
Tinamueier
Schon Wochen vorher liegen sie wieder zu Zigtausenden in den Regalen: bunte Ostereier. Hühnereier sind zwar nicht nur weiß, sondern können viele verschiedene Braun- und Grüntöne zeigen (siehe Objekt des Monats Juli 2024), aber sie müssen doch gefärbt werden, um auffälliger zu werden – denn eigentlich sollen Eier genau das nicht sein!
Die Tinamus oder Steißhühner haben dieses Prinzip aber in die völlig andere Richtung getrieben und produzieren porzellanartig glänzende, je nach Art unterschiedlich gefärbte Eier, die so bunt sind, dass sie sofort auffallen. Tinamus sind eine neotropische Gruppe innerhalb der Urkiefervögel (Palaeognathae), zu denen sonst nur flugunfähige Laufvögel gehören: Strauße, Nandus, Emus, Kasuare und Kiwis. Deren Flugunfähigkeit scheint mehrfach unabhängig entstanden zu sein. Auch Tinamus sind keine »Überflieger«, aber sie können sich zumindest noch fliegend in Sicherheit bringen.
Mit ihrem unauffälligen Gefieder, dem kleinen Kopf, einem ovalen Körper mit kurzen, abgerundeten Flügeln und extrem kurze, nach unten gerichtete Stoßfedern erinnern Tinamus an Rallen oder Hühnervögel – was ihnen den Namen Steißhühner einbrachte. Doch das sind Anpassungen an ihre Lebensweise. Die verschiedenen Arten bewohnen ganz unterschiedliche Lebensräume: Vom dichten Regenwald bis zum trockenen Grasland und von Ebenen bis ins Gebirge sind sie vertreten. Immer leben sie aber am Boden, worauf die kurzen, kräftigen Läufe mit den kurzen Zehen auch hindeuten.
Obwohl Tinamus relativ häufig und nur wenige Arten als bedroht eingestuft sind, werden sie durch ihre eher scheue, versteckte Lebensweise und das tarnfarbige Gefieder meist übersehen. Wohl aus denselben Gründen werden Tinamus nur selten in Zoos gehalten, weil sie – abgesehen von den bunten Eiern – nicht besonders attraktiv für Besucher sind.
In der Ornithologischen Sammlung der ZSM werden neben einigen Eiern vor allem Bälge von 20 verschiedenen Tinamu-Arten aufbewahrt.
6 Fakten über Tinamus
- Die Familie der Steißhühner, Tinamidae, besteht aus derzeit 9 Gattungen mit 47 Arten. Ihre Stellung innerhalb der Urkiefervögel wird noch diskutiert: Ob als Schwestergruppe der Ordnung Straußenvögel (alle übrigen Palaeognathae: Strauße, Nandus, Emus, Kasuare, Kiwis und die ausgestobenen Familien Moas und Madagaskarstrauße), als Familie innerhalb der Ordnung Straußenvögel (alle Palaeognathae) oder als eigene Ordnung Tinamiformes neben den Ordnungen Strauße, Nandus, Emus, Kasuare, Kiwis, Moas und Madagaskarstrauße.
- Jeder mit jedem? Während sich bei den meisten Tinamuarten beide Geschlechter mit mehreren Artgenossen paaren, bilden andere wie das Pisaccasteißhuhn Nothoprocta ornata monogame Paare, oder zumindest wie beim Fleckensteißhuhn Nothura maculosa während der ersten Bruten, um sich dann als erfahrene Tiere mit mehreren Partnern fortzupflanzen.
- Ostereier können kaum auffälliger sein als die glänzenden, einfarbig bunten Eier der Tinamus! Je nach Art unterscheiden sie sich in Größe und Farbe, aber alle sind eines nicht: gut getarnt. Doch genau das könnte eine Strategie gegen tagaktive Eierräuber sein, die Tinamueier durch Farbigkeit und Glanz möglicherweise gar nicht als solche erkennen. Für die nachtaktiven Prädatoren greift diese Erklärung allerdings nicht. Außerdem verblassen die Eier während der Brut.
- Selbst ist der Mann: Wie bei den flugunfähigen Vertretern der Urkiefervögel sind die Tinamu-Männchen ganz alleine für Brut und Aufzucht zuständig. Erfahrende Männchen bebrüten oft die Eier mehrerer Weibchen. Auf dem Nest tolerieren sie Gefahren und bleiben meist unbeweglich sitzen; manche Arten strecken Kopf und Hals nach vorne, drücken sie dicht an den Boden, sträuben die Körperfedern ab und wirken wie ein Busch. Sie können Prädatoren auch verleiten, indem sie sich flügellahm stellen und die Gefahr von Nest oder Küken weglenken.
- Früh übt sich: Tinamuküken können selbständig Nahrung aufnehmen, bekommen aber die ersten Tage Futter vom Vater angeboten. Bereits 16 bis 20 Tage nach dem Schlupf sind sie selbständig und verlassen ihren Vater, der dann eine weitere Brut beginnen kann.
- Domestikation spielte bisher bei den Tinamus keine Rolle, obwohl sie leicht zu halten und ihre Eier sehr attraktiv sind. Die Rolle des fleißigen Eierlegers war aber bereits durch das Haushuhn ausreichend besetzt und erforderte keine weiteren Anstrengungen.
Abbildungen
Abb. 1: Passend zu Ostern: Eier von vier Tinamus mit ihrer arteigenen Färbung. Foto: M. Unsöld, ZSM
Abb. 2: Eine Box mit Tinamu-Bälgen aus dem Vogelmagazin M109, oben das Perlsteißhuhn Eudromia elegans, von dem das grüne Ei stammt. Foto: M. Unsöld, ZSM
Literatur
Del Hoyo, J., Elliott, A. & Sargatal, J. eds. (1992) Handbook of the Birds of the World. Vol. I. Ostrich to Ducks. Lynx Edicions, Barcelona
Winkler, D.W., Billerman S.M., Lovette, I.J. (2015) Bird Families of the World. Lynx Edicions, Barcelona
Markus Unsöld