Objekt des Monats Oktober 2025
Das Weißhaar-Gürteltier Chaetophractus vellerosus J. E. Gray, 1865
Unser Objekt des Monats hat eine enge Verbindung zu einer Person, die in diesem Jahr ihren hundertsten Todestag hatte. Doch zunächst einiges zu seiner näheren Verwandtschaft.
Die neuweltlichen Gürteltiere besitzen als einzige rezente Säugergruppe einen Hautknochenpanzer, der zur besseren Beweglichkeit durch mehrere Hautfalten unterbrochen ist. Die 21 heute lebenden Arten werden in zwei Familien unterteilt: Die acht Langnasen-Gürteltiere der Gattung Dasypus bilden die Dasypodidae, die übrigen 13 Arten in acht Gattungen die Chlamyphoridae. Das Riesengürteltier ist mit einer Kopf-Rumpf-Länge von bis zu einem Meter und einer Schwanzlänge von bis zu 60 cm die größte noch lebende Gürteltierart. Am anderen Ende des Spektrums stehen die vergleichsweise winzigen Gürtelmulle; von den beiden rezenten Arten war der Burmeister-Gürtelmull unser Objekt des Monats April 2024.
Das Weißhaar- oder Kleine Borstengürteltier wird im englischsprachigen Raum als Screaming Hairy Armadillo bezeichnet, da es in bestimmten Situationen Laute von sich gibt, die von leisen Grunzern bis zu lauten Schreien reichen. Die Nominatform Chaetophractus v. vellerosus kommt in Bolivien, Nordost-Chile, Paraguay, dem Hochland Argentiniens und dem südöstlichen Peru vor, während C. v. pannosus die Ebenen Argentiniens bewohnt. Wie viele andere Gürteltiere ist es ein Einzelgänger und ein Allesfresser, dessen Nahrung etwa zur Hälfte aus Insekten wie Termiten, Ameisen und Käfern, zur anderen aus pflanzlicher Kost besteht; letztere macht in der kalten Jahreszeit jedoch den größeren Anteil aus. Auch kleine Wirbeltiere sollen ab und zu aufgenommen werden. An unserem Weißhaar-Gürteltier-Präparat sind die großen Krallen der Vorderextremitäten gut zu erkennen, mit denen es sich sehr schnell in den Boden graben kann, um sich vor Feinden in Sicherheit zu bringen oder geschützt zu ruhen.
Unser Objekt des Monats hat Geschichte auf dem gepanzerten Buckel: Seine Sammlerin war Prinzessin Therese Charlotte Marianne Auguste von Bayern (1850 – 1925), neben drei Söhnen die einzige Tochter des Prinzregenten Luitpold von Bayern und dessen Ehefrau Auguste Ferdinande von Österreich. Sie war furchtlos, voller Entdeckerdrang, insbesondere an den Naturwissenschaften sehr interessiert und ihrer Zeit weit voraus – zu weit, denn erst ab 1903 waren Frauen in Bayern zum Hochschulstudium zugelassen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich selbst um ihre Bildung zu kümmern. Im intensiven Selbststudium lernte sie Zoologie, Botanik, Geografie und Ethnologie und brachte sich 12 Sprachen in Wort und Schrift bei, was ihr auf ihren Reisen sehr nützlich war.
Im Alter von 21 Jahren zog es sie in die Ferne. Mehrere monatelange Reisen, auf denen sie inkognito als »Gräfin Elpen« mit maximal drei persönlichen Bediensteten unterwegs war und sehr spartanisch lebte, führten sie durch Nord- und Osteuropa, Russland, Nordafrika, Nordamerika, Mexiko und Südamerika. Dabei sammelte sie botanische, zoologische und ethnologische Belege und notierte gewissenhaft alles, was ihr wichtig erschien. Tatsächlich entpuppten sich einige der von ihr gesammelten Belege als bislang noch unbekannte Arten, die von Spezialisten neu beschrieben und teilweise zu Ehren der Sammlerin benannt wurden.
1892 wurde Therese von Bayern – als erste und lange Jahre einzige Frau – zum Ehrenmitglied der Geographischen Gesellschaft sowie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Am 9. Dezember 1897 erhielt sie als erste Frau von der Universität München die Ehrendoktorwürde.
Das Jahr 1898 war die »Geburtsstunde« unseres Oktober-Objektes: Die Prinzessin brach zu ihrer zweiten Südamerikareise auf, die über ein halbes Jahr dauern sollte und eine reiche zoologische Ausbeute erbrachte. In Bolivien erstand sie an Bord eines Schiffes ein lebendes Gürteltier; doch anders als die Zwischendeckpassagiere vermuteten, genoss sie nicht einen daraus zubereiteten Braten, sondern nahm das Tier mit nach Hause, wo es noch acht Jahre bei ihr lebte. Möglicherweise wurde es bereits von Gustav Küsthardt präpariert, der zu dieser Zeit an der Zoologischen Staatssammlung tätig war; sein Siegel ist vorne links am Sockel angebracht. Es könnte aber auch sein, dass er das Präparat nur restauriert und neu aufgestellt hat, als 1926 der gesamte zoologische Nachlass der Prinzessin auf ihren Wunsch hin in die ZSM kam.
Bei der Bombardierung der Alten Akademie in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1944 wurden viele unersetzliche Belege unwiederbringlich zerstört, so etwa Therese von Bayerns große Sammlung an südamerikanischen Fischen, von der nur ein einziger Wels erhalten blieb, weil er als Leihgabe in der Schicksalsnacht nicht vor Ort war. Er steht wie Millionen anderer Belege heute Wissenschaftlern aus aller Welt für ihre Forschungen zur Verfügung.
5 Fakten über Gürteltiere
- Die Nebengelenktiere (Xenarthra) setzen sich aus zwei Ordnungen zusammen: Den Zahnarmen (Pilosa) mit Ameisenbären und Faultieren, und den Gepanzerten Nebengelenktieren (Cingulata), von denen nur die Gürteltiere überlebt haben. Der Name bezieht sich auf die zusätzlichen Wirbelfortsätze an der Wirbelsäule.
- Altweltliche Konvergenz: Die Schuppentiere Afrikas und Asiens wirken wie eine Mischung aus Ameisenbär und Gürteltier, haben aber verwandtschaftlich nichts mit den Nebengelenktieren zu tun, sondern bilden die Schwestergruppe der Raubtiere. Das Chinesische Schuppentier war unser Objekt des Monats Januar 2022.
- Spillover: Gürteltiere gehören neben dem Menschen und einigen Nagern zu den wenigen Wirten von Mycobacterium leprae, dem Erreger der Lepra. In Südamerika kommt es jedes Jahr zu Infektionen, da Gürteltiere gerne gegessen werden.
- Handtaschen-Haustier? Die Autorin der Biografie über Therese von Bayern, Hadumod Bußmann, behauptet schon seit Jahren, dass sie das von der Prinzessin aus Bolivien lebend mitgebrachte Gürteltier besäße – in Form einer Tasche! Bei dem verarbeiteten Tier handelt es sich aber um ein Langnasen-Gürteltier der Gattung Dasypus, zu der auch das häufige und vom südlichen Nordamerika bis ins südliche Argentinien verbreitete Neunbinden-Gürteltier gehört. Da Therese von Bayern auch ethnologische Objekte aus Südamerika mitbrachte, handelt es sich bei der Tasche vermutlich um ein auf einem Markt gekauftes Objekt. Das viel kleinere Weißhaar-Gürteltier war deutlich leichter lebend zu transportieren. Und wie wahrscheinlich ist es, dass eine tierliebe Wissenschaftlerin ein Gürteltier, das sie 8 Jahre lang als Haustier hält, nach seinem Tod zu einer Tasche verarbeiten lässt? Zudem hat die Prinzessin ihre gesamte zoologische Sammlung der ZSM vermacht.
- Schutz der Biodiversität:2025 sind Gürteltiere bei der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Biotopschutz »Zootier des Jahres«. Die ZGAP möchte mit dieser jährlichen Aktion Zoobesucher auf Schutzprojekte für diese urtümliche Säugergruppe aufmerksam machen.
Abbildungen
Abb. 1: Das 120 Jahre alte Präparat des Weißhaar-Gürteltiers von Therese von Bayern. Foto: M. Unsöld, ZSM
Abb. 2: Auf der Unterseite sind die Daten des Gürteltieres vermerkt. Foto: M. Unsöld, ZSM
Abb. 3: Barbara Ruppel hat das Gürteltier der Prinzessin bildlich ins Leben zurückgeholt.
Literatur
Burgin, C.J. et al (2020) Illustrated Checklist of the Mammals of the World. Volume 1: Monotremata to Rodentia. Lynx Edicions, Barcelona.
Markus Unsöld



Foto: M. Unsöld, ZSM
Foto: M. Unsöld, ZSM