Objekt des Monats Mai 2023
Jane Goodalls Federspulmilbe Charadriineopicobia janegoodallae
Federspulmilben der Familie Syringophilidae sind kleine parasitische Spinnentiere; sie leben in der Spule, dem im Körper eingesenkten Teil der Feder, und saugen das Blut ihrer Wirte.
Die hauptsächliche Übertragung von einem Individuum zum andern scheint während der Kopulation oder von den Eltern auf den Nachwuchs zu erfolgen. Das erklärt auch, warum die einzelnen Milbenarten ihre eigenen Wirtsvogelarten besitzen.
Doch es gibt auch Federspulmilbenarten, die auf mehreren Vogelarten zu finden sind. Entweder hatten sie bereits eine gemeinsame Stammart der Wirte parasitiert, bevor diese sich in mehrere Arten aufgespalten hat – oder es erfolgten Hybridisierungen zwischen verschiedenen Wirtsarten oder sogar ‑gattungen, bei denen die Milbe gewechselt hat und auf dem jeweils neuen Wirt zurechtkam. So scheint es z.B. bei verschiedenen Paradiesvögeln gewesen zu sein, wie der Fund zweier Federspulmilbenarten zeigt, die jeweils bei zwei Arten aus verschiedenen Paradiesvogelgattungen gefunden wurden, von denen Naturhybride bekannt sind.
Im Fall von Charadriineopicobia janegoodallae ist die Übertragung aber ungeklärt. Der Wirtsvogel des Typusexemplars ist ein am 22. November 1897 auf der Insel Isabela (damals Albemarle) gesammelter Galápagos-Wellenläufer, Hydrobates tethys, ein nur 14,5 – 16,5 cm kleiner Albatrossverwandter. Wie der Gattungsname der Milbe andeutet, kommen deren Spezies normalerweise bei einigen Watvögeln (Limikolen) der Ordnung Charadriiformes vor, nicht aber bei Röhrennasen, Procellariiformes. Zudem handelt es sich um einen Erstnachweis der Unterfamilie Picobiinae bei dieser Vogelordnung. Spezies der Gattung Charadriineopicobia besiedeln normalerweise die Konturfedern kleinerer Limikolen und könnten sich mit ihren Mundwerkzeugen nicht durch die dickeren Wände der Federspule größerer Röhrennasen-Arten beißen, um ins Innere zu gelangen. Beim winzigen Galápagos-Wellenläufer gelang ihnen das, und daraus entwickelte sich schließlich das jetzt als C. janegoodallae beschriebene Tier!
Diese neue Milbenart erhielt ihren wissenschaftlichen Artnamen zu Ehren von Dr. Jane Goodall, für ihren unermüdlichen Einsatz für den Umwelt- und Naturschutz, den sie 300 Tage pro Jahr und rund um die Welt verfolgt. Die weltbekannte Primatologin begann 1960 mit dem Studium wildlebender Schimpansen im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania. Durch ihre genaue Beobachtungsgabe und ihr Einfühlungsvermögen gelangen ihr spektakuläre Entdeckungen, wie die Herstellung und Nutzung von Werkzeugen, Jagd und Fleischverzehr und sogar kriegerische Handlungen bei Schimpansen. Seit vielen Jahrzehnten widmet sie sich als Umweltaktivistin und UN-Friedensbotschafterin nicht mehr primär der Forschung, sondern der Umweltbildung zur Erhaltung von Lebensräumen, Biodiversität und damit einem lebenswerten Planeten Erde. Große Hoffnung setzt sie auf die jüngere Generation, für die sie 1991 »Roots & Shoots« ins Leben gerufen hat.
4 Fakten über Federspulmilben
- Kaum bekannte Gruppe: Mit den Syringophiliden beschäftigen sich nur etwa 10 Wissenschaftler weltweit. Prof. Maciej Skoracki von der Adam Mickiewicz Universität in Posen ist der führende Spezialist für diese Gruppe. Er besucht und beprobt die Vogelsammlung der ZSM bereits seit mehr als 10 Jahren.
- »From old birds to new species«: In den z.T. bereits über 200 Jahre alten Vogelbälgen der ZSM konnten mit minimalen Eingriffen durch das Zupfen einiger Federn bisher 80 neue Arten von Syringophiliden entdeckt und beschrieben werden. Die Typusexemplare dieser Milben sind in der Sektion Arthropoda varia der ZSM hinterlegt.
- Parasiten als Hilfsmittel der Taxonomie: Mit den auf Gattungs- und teilweise sogar Artniveau wirtsspezifischen Federspulmilben lassen sich auf andere Weise gewonnene Verwandtschaftsverhältnisse überprüfen.
- Schadwirkung auf den Wirt? Ob Federspulmilben einen negativen Effekt auf Vögel haben ist bisher nicht bekannt. Sie könnten möglicherweise als Vektoren von im Blut ihres Wirtsvogels zirkulierenden Viren und Bakterien fungieren, wenn sie auf ein neues Individuum wechseln.
Abbildungen
Abb. 1 (Artikelbild): Die symbolische Übergabe von Charadriineopicobia janegoodallae an die Namenspatin. Foto Copyright: Naturkundemuseum Bayern/Astrid Eckert
Abb. 2: Lichtmikroskopische Aufnahme von Charadriineopicobia janegoodallae. Foto: M. Skoracki
Abb. 3: In wissenschaftlichen Publikationen werden üblicherweise beide Geschlechter der Milben in Strichzeichnungen dargestellt, da Fotos die Merkmale nicht so deutlich zeigen. Zeichnung: M. Skoracki
Abb. 4: Der 1897 auf der Insel Isabela (= Albemarle) gesammelte Galapagos-Wellenläufer Hydrobates tethys, in dessen Federn die Milbe entdeckt wurde. Foto: M. Unsöld, ZSM
Abb. 5: Maciej Skoracki an seinem persönlichen Lieblingsort, dem Vogelmagazin M111 in der ZSM. Foto: M. Unsöld, ZSM
Markus Unsöld