Objekt des Monats Februar 2024

Alpensteinbock Capra ibex

Im Schaumagazin der ZSM steht ein altes Alpensteinbock-Präparat (Abb. 1 + 2), das auf den ersten Blick unspektakulär erscheint. Erst das am rechten Horn angebrachte Etikett (Abb. 3 + 4) zeigt seine Besonderheit und das vorläufige Ende der langen Geschichte dieses Individuums: es hat die Zerstörung des Alpinen Museums 1944 überlebt und wurde vermutlich 1956 der ZSM übergegeben, wo es mit der Nummer 200/56 in die Eingangsbücher aufgenommen wurde. Trotz seiner Größe weist das Präparat keine auffälligen Beschädigungen auf und ist noch in einem ansehnlichen Zustand.

Im April 1944 wurde bei einem Bombenangriff neben der Alten Akademie in der Neuhauser Straße, in der die Schauräume der Staatlichen Zoologischen Sammlungen untergebracht waren, auch das Museum des Alpenvereins auf der Praterinsel getroffen. Glücklicherweise waren aus beiden Häusern besonders wertvolle Stücke und Sammlungen in Sicherheit gebracht worden. Die Zoologen setzten dabei auf ländliche Gebiete, das Alpine Museum hatte große Mengen seiner Exponate nach Innsbruck ausgelagert, wohin nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich der Hauptsitz des Alpenvereins verlegt worden war. Auch in den Kellern des benachbarten Deutschen Museums fanden Objekte Schutz vor den Bombardements. Möglicherweise hat hier auch der Steinbock – entgegen den spektakuläreren Angaben auf dem Etikett – den Krieg überlebt. Nach der fast totalen Zerstörung des Museumsgebäudes auf der Praterinsel sah man keine Möglichkeit für die Wiedergründung eines Alpinen Museums und übergab gerettete Objekte an andere museale Institutionen wie das Stadtmuseum und im Falle des Steinbocks an die ZSM.

Die Geschichte des Tieres nach Ende des Krieges war damit klar, aber seine ursprüngliche Herkunft lag noch im Dunkeln. Erst der durch Leihgabenwünsche an die Zoologische Staatssammlung München für eine Ausstellung im Alpinen Museum neu entstandene Kontakt der beiden Häuser erbrachte, dass der Bock bereits zur Eröffnung des Alpenvereins-Museums im Jahr 1911 die »Krönung« eines beeindruckenden Felsdioramas mit einheimischen Bergtieren war (Abb. 5). Albert Steckner, Mitinhaber eines Bankhauses und eines der 22 Gründungsmitglieder der 1886 gegründeten Alpenvereinssektion Halle an der Saale, hatte das Tier für die Ausstellung in München gespendet. Die ursprüngliche Pappkonstruktion des Tierfelsens wurde 1929 durch ein von Rudolf Reschreiter geschaffenes Granitfelsenimitat ersetzt (Abb. 6).

Der Alpensteinbock galt wegen seiner Leichtfüßigkeit und Überlebensfähigkeit im Fels als mit fast übermenschlichen Kräften ausgestattetes Tier. Seinem ganzen Körper, selbst Haaren und Kot, wurden heilende Wirkung zugeschrieben, und das Tier so zur wandelnden »Apotheke«, mit der viel Geld zu verdienen war. Die starke Bejagung führte schließlich dazu, dass Anfang des 19. Jahrhunderts im gesamten Alpenraum nur noch etwa 100 Tiere im italienischen Gran Paradiso übrig waren, die 1820 unter Schutz gestellt wurden. Als König Viktor Emanuel II. von Sardinien-Piemont die Region 1856 zu einem seiner Jagdreviere machte, sorgte er mit einer großen Zahl an Wildhütern dafür, dass der Wilderei Einhalt geboten wurde. Ende des 19. Jahrhunderts war der Bestand wieder auf 3000 Tiere angewachsen. Obwohl die Schweiz wiederholt Gesuche für die Umsiedlung von Steinböcken gestellt hatte, verbot Viktor Emanuel III. den Export. So wurden 1906 die ersten Tiere in die Schweiz geschmuggelt, in den Wildpark Peter und Paul bei St. Gallen gebracht und dort auch gezüchtet. Ab 1911 erfolgten Wiederansiedlungsversuche in der Schweiz, die aber erst ab 1920 in den Bündner Bergen die gewünschten Erfolge brachten.

Doch wie ist es möglich, dass bereits 1911 ein kapitaler Steinbock als Präparat nach München kam? In verschiedenen Haltungen gab es vor der Ausrottung des Steinbocks in den Alpen noch Vertreter dieser Art. Mit deren Verschwinden wurde der Bestand jedoch immer kleiner, und man entschloss sich, Hausziegen einzukreuzen, um wenigstens noch steinwild-ähnliche Schautiere zu erhalten. Auch im Berg-Zoo in Halle an der Saale wurden solche Mischlinge gehalten, von denen unser Bock sehr wahrscheinlich abstammt. Sowohl die Struktur des Fells als auch die Riefelung des Gehörns deuten auf einen Hybriden hin, wie Präparator Dieter Schön vom Museum Mensch und Natur bestätigt. Albert Steckner könnte als einflussreiches Mitglied und Vorsitzender seiner Sektion Halle und durch mögliche Kontakte zum Berg-Zoo für die Bereitstellung eines Tieres gesorgt haben.

In Deutschland wurden die ersten Steinböcke 1936 bei Berchtesgaden wiederangesiedelt. Heute leben im deutschen Bereich der Alpen fünf Steinbock-Populationen: im Hagengebirge, bei Bayrischzell, an der Benediktenwand, im Graswangtal sowie in den Allgäuer Alpen – insgesamt etwa 800 Steinböcke in Bayern.

Am 7. März öffnet das Alpine Museum nach drei Jahren Umbau und Umgestaltung wieder seine Pforten. Weitere Informationen unter https://www.alpenverein.de/museum

4 Fakten über den Alpensteinbock

  • Bezoarsteine sind Verklumpungen von bei der Fellpflege verschluckten Haaren und Pflanzenfasern, die im Verdauungstrakt verfilzt und ausgehärtet sind und vor allem bei Wiederkäuern zu finden sind. Der Bezoarziege Capra a. aegagrus gaben sie ihren Namen. Bezoarsteinen wurden alle möglichen Heilkräfte nachgesagt, unter anderem Schutz vor Giften, weshalb sie teuer gehandelt wurden.
  • »Bockiges« Haustier: Nur ein Mitglied der Ziegenartigen, Caprini, konnte domestiziert werden; aus der Wildziege Capra aegagrus entstand die Hausziege, von der viele Rassen gezüchtet wurden. Durch ihre Genügsamkeit überlebt sie auch in kargen Regionen der Erde, kann dadurch aber auch zu einer Gefahr für die Biodiversität der Vegetation werden, da sie praktisch alles an Pflanzenmaterial verdauen kann.
  • Hybriden zwischen Alpensteinböcken und Hausziegen treten immer wieder auch natürlich auf, zuletzt in der Schweiz (blick.ch, tierwelt.ch). Dabei werden normalerweise freilaufende Hausziegen von Steinböcken gedeckt.
  • Doch kein »Wundertier«: Der Winter in den Alpen fordert seinen Tribut auch beim Steinwild durch Lawinenabgänge und Nahrungsknappheit. Daran haben sich Vogelarten wie Kolkrabe und Bartgeier angepasst und ihre Brut in den späten Winter verschoben (Eiablage bereits Ende Januar); so haben sie für ihren Nachwuchs reichlich Futter, wenn es zu tauen beginnt und unter dem Schnee konservierte Kadaver freigelegt werden.

Abbildungen

Abb. 1 + 2: Der Alpensteinbock-Hybride auf seiner Platte im Schaumagazin. Foto: M. Unsöld

Abb. 3 + 4: Das Etikett des Präparats mit dem möglicherweise etwas zu spektakulären Fundort nach dem Krieg. Foto: M. Unsöld

Abb. 5: Der erste Bergtier-Felsen im Alpinen Museum. Archiv Alpines Museum

Abb. 6: Der zweite Bergtier-Felsen im Alpinen Museum. Archiv Alpines Museum

Markus Unsöld (ZSM) & Stephanie Kleidt (Alpines Museum)