Objekt des Monats April 2023

Die Riesenblattschrecke Siliquofera grandis (Blanchard, 1853)

Imposanter Körperbau: Die Riesenblattschrecken gehören zu den größten Heuschrecken und Insekten der Erde. Die Weibchen werden bis zu 13 cm lang, mehr als 30 g schwer, und ihre Flügelspannweite beträgt bis zu 25 cm. Viele Strukturen, die bei kleinen Insekten nur unter dem Binokular oder Mikroskop deutlich erkennbar sind, wie die Haftpolster an den Füßen oder die Atemöffnungen (Stigmen) am Körperende, lassen sich bei der Riesenblattschrecke mit bloßem Auge beobachten. Ihre pumpenden Atmungsbewegungen weisen darauf hin, dass diese Insekten einen Mechanismus entwickelt haben, um die Tracheenatmung effizienter zu machen und so den großen Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen.

Doppelte Blattmimese: Bei den sehr kompakt gebauten Larven (Nymphen) ähnelt nur die Körperoberseite einem grünen Blatt. Erst nach der letzten Häutung zum erwachsenen Tier werden zusätzlich die voll ausgebildeten, ebenfalls extrem blattartigen Flügel an den Körperseiten sichtbar. In beiden Fällen wird auch die Blattäderung sehr überzeugend nachgeahmt, so dass die Schrecken zwischen grünem Laub hervorragend getarnt sind.

Lebensweise und Verbreitung: Obwohl Siliquofera grandis bereits vor 170 Jahren wissenschaftlich beschrieben wurde, gelangte die Art erst vor wenigen Jahren lebend nach Europa, und bisher ist erstaunlich wenig über ihre Lebensweise bekannt. Demnach handelt es sich um überwiegend nachtaktive Baumkronen-Bewohner im Regenwald. Anscheinend vertrauen sie hauptsächlich auf ihre hervorragende Tarnung und machen meist nur bedächtige Bewegungen, können bei Stress aber auch springen, flattern und kräftig zubeißen. Die innerartliche Kommunikation erfolgt überwiegend durch Vibrationen, und bisher haben wir bei diesen Tieren noch keine hörbaren Gesänge festgestellt. Ihr Verbreitungsgebiet umfasst Neuguinea und einige vorgelagerte Inseln sowie das nördliche Australien. Die Schrecken verbringen viel Zeit mit der Körperpflege. Mit großer Hingabe putzen sie die Haftpolster auf der Unterseite ihrer Füße, ihre Antennen und ihre Mundwerkzeuge.

»Fussballspiel« mit Fäkalien: Die Riesenblattschrecken überraschen immer wieder mit unerwarteten Verhaltensweisen. Bis zur Häutung zum erwachsenen Tier schießen sie ihre Kotbälle mit den Sprungbeinen meterweit durch die Gegend. Der Grund dafür scheint offensichtlich: Die grünen Heuschrecken sind mit ihrer Blattmimese im Lebensraum hervorragend getarnt, könnten sich aber durch Geruchsspuren verraten. Daher schießen sie den Kot möglichst weit weg, um ihre Fressfeinde auf eine falsche Spur zu locken.

Haltung und Zucht in menschlicher Obhut: Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Riesenblattschrecke leicht und kostengünstig in menschlicher Obhut gehalten und gezüchtet werden kann (Korsunovskaya et al. 2020). Demnach kann ein Weibchen im Laufe seines Lebens bis zu 370 Eier mit seinem Legestachel in den Bodengrund ablegen. Die Eier sind 13,5‍–14 mm lang und 2,6‍–3,6 mm breit. Die Larven schlüpfen nach etwa 2,5‍–3 Monaten und durchlaufen nach ca. 3 Monaten die letzte Häutung, bei der auch die Flügel erscheinen. Die ausgewachsenen Heuschrecken können dann noch über ein Jahr lang leben. Larven und Erwachsene können gut mit Brombeerlaub als Grundnahrungsmittel gefüttert werden, fressen zusätzlich aber auch mit großem Appetit Äpfel, Möhren, Salat, Löwenzahn und viele andere Pflanzen und lassen sich teilweise sogar aus der Hand füttern. Bei der Fütterung mit süßen Äpfeln läuft ihnen das Wasser im Maul so stark zusammen, dass es heruntertropft. Für die Haltung wird ein großes Terrarium mit einem ca. 10 cm hohen Bodengrund aus feuchter Erde benötigt. Alternativ kann man auch kleinere Eiablageschalen verwenden. Die Brombeerranken sollten täglich mit Wasser besprüht werden, damit die Heuschrecken die Wassertropfen auflecken können.

Didaktisches Potenzial um Menschen für Insekten zu begeistern: Insekten sind für unsere Ökosysteme unverzichtbar, dennoch haben viele Menschen noch immer eine tiefe Abneigung gegen diese Krabbeltiere, die oft auf Unkenntnis und Vorurteilen beruht.

Die beeindruckende Schönheit der Riesenblattschrecken begeistert Kinder und Erwachsene gleichermaßen und kann dazu beitragen, das Image der Insekten zu verbessern, was angesichts von dramatischem Insektensterben auch dringend notwendig ist. Durch ihren gutmütigen, wenig schreckhaften Charakter mit ruhigen, bedächtigen Bewegungen laden sie regelrecht dazu ein ihr interessantes Verhalten näher zu beobachten und sie so als Individuen oder vielleicht sogar als Persönlichkeiten zu erleben. Bei fachkundiger Präsentation sind sie bestens geeignet, um Kinder auf positive Weise an Insekten heranzuführen, Begeisterung für die Krabbeltiere zu wecken und Ängste und Vorbehalte abzubauen. Sie haben daher ein großes Potential für die Forschung und Lehre an Schulen und Universitäten und könnten dazu beitragen, Nachwuchsentomologen und zukünftige Naturschützer zu prägen und auf die Gefährdung von Insekten hinzuweisen.

7 Fakten über Siliquofera grandis

  • Namensgebung: Der wissenschaftliche Name der Art bedeutet »Großer Schotenträger« und bezieht sich offenbar auf die schotenartigen Flügel der erwachsenen Tiere.
  • Artenvielfalt: Siliquofera grandis ist eine der größten unter den mehr als 28.000 bekannten Arten von Heuschrecken, viele weitere Arten warten aber sicherlich noch auf ihre Entdeckung und wissenschaftliche Beschreibung. Charakteristisch für diese Tiergruppe sind die beiden langen Antennen am Kopf (Abb. 1).
  • Haftpolster für die Adhäsion: Die Unterseite jedes Fußes trägt acht Haftpolster mit kleinen Löchern, mit denen die Riesenblattschrecken problemlos senkrechte Glasscheiben hochklettern können. Wenn sie sich auf glatten Oberflächen bewegen, tritt aus diesen Löchern ein dünner Flüssigkeitsfilm aus, der die Adhäsion zwischen den Flächen erzeugt (Abb. 2).
  • Ohren in den Vorderbeinen: Die Ohren von Siliquofera grandis und anderen Langfühlerschrecken befinden sich nicht wie bei uns Menschen am Kopf, sondern in den Unterschenkeln der Vorderbeine (Abb. 3).
  • »Abgehobene« Fortbewegung: Beim Gehen auf glatten Flächen wie einer Glasscheibe hebt die Riesenblattschrecke die endständigen Haftpolster und Krallen vom Untergrund ab (Abb. 4).
  • Sex gegen Bezahlung: Wie bei Langfühlerheuschrecken üblich, wird bei jeder Paarung vom Männchen eine Spermatophylax (»Spermienwächter«) auf das Weibchen übertragen. Hierbei handelt es sich um ein weißes Spermienpaket, das um ein proteinhaltiges Anhängsel erweitert ist. Nach der Paarung hängt dieses weiße, nahrhaftes Gebilde noch einige Zeit am Körperende, bevor es vom Weibchen gefressen wird. Die »Bezahlung« für die Paarung in Form von hochwertiger Nahrung hat einen guten Grund, denn auf diese Weise können die Weibchen offenbar mehr Eier produzieren und so auch die Männchen mehr Nachkommen haben. Die Männchen von anderen Insektenarten (z. B. manchen Gottesanbeterinnen) müssen eine Paarung manchmal sogar mit ihrem Leben bezahlen und werden nach der Paarung vom Weibchen verspeist (Abb. 5).
  • Belege im Museum: Präparate dieser Art gibt es in der Zoologischen Staatssammlung, können aber auch in einer Vitrine über riesige Insekten im Museum Mensch und Natur im Schloß Nymphenburg in München bewundert werden. Allerdings zeigen diese Präparate durch den Zerfall der Farbstoffe kein sattes Grün mehr wie bei den lebenden Tieren, sondern sind gelbbraun gefärbt.

Bildlegende

Abb. 1 (Artikelbild): Siliquofera grandis mit langen Antennen. Foto: Frank Glaw & Timon Glaw

Abb. 2: Fußunterseite mit acht Haftpolstern und Krallen. Foto: Frank Glaw & Timon Glaw

Abb. 3: »Ohren« von Siliquofera grandis. Foto: Frank Glaw & Timon Glaw

Abb. 4: Riesenblattschrecke beim Gehen auf Glas. Foto: Frank Glaw & Timon Glaw

Abb. 5: Weibchen mit Spermatophylax. Foto: Frank Glaw & Timon Glaw

Frank Glaw und Timon Glaw