Objekt des Monats Juni 2023

Schwertschnabelkolibri Ensifera ensifera

Die Familie Trochilidae, Kolibris, besteht aus 377 Arten in 106 Gattungen; 2 Arten der Gattung Chlorostilbon gelten seit 1860 bzw. 1877 als ausgestorben. Kolibris sind auf beiden amerikanischen Kontinenten verbreitet und kommen von Alaska bis nach Feuerland vor. Die kleinsten Arten sind von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze nur 6 cm lang, der Riesenkolibri hat etwa die Größe eines Mauerseglers, mit dem er entfernt verwandt ist.

Kolibris könnte man als die Spitzmäuse unter den Vögeln bezeichnen: ihr Stoffwechsel läuft so hochtourig, dass viele Arten über Nacht in einen Torpor fallen, bei dem nur noch die überlebensnotwendigen Vorgänge ablaufen. Ohne dieses »Herunterfahren« würden sie die Nacht nicht überleben. Tagsüber benötigen sie sehr viel Nahrung für energieintensiven Schwirrflug (bis zu 80 Flügelschläge pro Sekunde) in Form von Nektar. Deshalb sind sie sehr aggressiv und verteidigen ihre Nahrungsquellen gegen Artgenossen, aber auch andere Kolibriarten.

Einige Kolibris und ihre bestäubten Pflanzenarten haben entweder eine Koevolution durchlaufen, bei dem sich Schnabelform und Blütenmorphologie immer mehr aneinander angenähert haben, oder die Pflanzen haben sich an ihren Bestäuber angepasst, wie neuere Studien ergaben. Jedenfalls passen manche Schnäbel und Blütenkelche wie Schlüssel und Schloss. Das sichert der zugehörigen Kolibriart den weitgehend alleinigen Zugang zum Nektar, und den Partner-Pflanzen sichere Bestäuber.

Ein extremes Beispiel für diese Anpassungen ist der Schwertschnabelkolibri. Von allen Vogelarten ist sein leicht nach oben gerichteter gerader Schnabel proportional zum Körper mit Abstand der Längste: bis zu 11 cm, bei einer Gesamtlänge von bis zu 23 cm. Mag dieses extreme »Werkzeug« auch hinderlich wirken, der Schwertschnabel kommt gut damit zurecht und erreicht Nektarquellen, die anderen Kolibris verschlossen bleiben: Passionsblumen (Passiflora), Fuchsien (Fuchsia), Misteln der Gattung Aetanthus (Loranthaceae), Nachtschattengewächse der Gattung Salpichroa sowie Rote Engelstrompete Brugmansia sanguinea und Weißer Stechapfel Datura tatula. Den Proteinanteil der Nahrung und seines Nachwuchses deckt er hauptsächlich über Fluginsekten, die er nach Seglermanier mit weit geöffnetem Schnabel im rasanten Flug erbeutet.

Laut der Roten Liste der IUCN gilt der Schwertschnabel bisher als nicht bedroht und bewohnt vom westlichen Venezuela über Kolumbien, Ecuador und Peru bis ins zentrale Bolivien Wälder, Busch- und Grasland in Höhenlagen von 1700 – 3500 m. Diese weite Verbreitung ist auch die beste Sicherung für das langfristige Überleben der Art.

In der Sektion Ornithologie der ZSM befindet sich neben einer großen Balgsammlung an Kolibris auch Standpräparate auf hellen Sockeln, einige Nester mit Eiern und ein »Vogelbaum« mit Kolibris. Unser Schwertschnabel-Standpräparat stammt wie die meisten der auf Sockeln montierten Kolibris, die z.T. fast 200 Jahre alt sind, sehr wahrscheinlich aus der Naturalienhandlung Sturm.

Während des Flower Power Festivals sind einige besonders spektakuläre Kolibris der ZSM in der Winterhalle des Botanischen Gartens und im Biotopia Lab zu sehen – natürlich auch der Schwertschnabel!

7 Fakten über Kolibris

  • »Schwertträger« ist die Bedeutung des Gattungs- und Artnamens des Schwertschnabelkolibris. Ensifera ist aber auch die wissenschaftliche Bezeichnung für die Unterordnung Langfühlerschrecken (z.B. Grünes Heupferd), bei denen die Weibchen am Hinterleib einen langen Ovipositor zum Versenken der Eier im Substrat tragen.
  • Leben auf der Überholspur: Kolibris sind die Spitzmäuse unter den Vögeln; ihr Stoffwechsel läuft so hochtourig, dass viele Arten über Nacht in einen Torpor fallen, bei dem nur noch die überlebensnotwendigen Vorgänge ablaufen. Ohne dieses »Herunterfahren« würden sie die Nacht nicht überleben.
  • Kunterbunt: Wie auch bei Schmetterlingen und Rosenkäfern entsteht der Glanz bei Kolibris durch Strukturfarben; in der Feder eingelagerte winzige Strukturen streuen das Licht und sorgen je nach Blickwinkel für andere Farbeindrücke.
  • Konvergenz: Die Ähnlichkeit von Kolibris und Nektarvögeln beruht auf der Ernährung, nicht auf Verwandtschaft. Sie sind im Stammbaum der Vögel sogar extrem weit voneinander entfernt: Während die Kolibris der Neuen Welt zur Ordnung Caprimulgiformes (Nachtschwalben, Segler und Kolibris) zählen, sind Nektarvögel Singvögel, Passeriformes.
  • Kolibris in Bayern? In Amerika werden Tränken mit Zuckerwasser für sie aufgehängt, um sie besser beobachten zu können. Immer wieder scheinen sich Kolibris aber auch in unsere Gärten zu verirren. Die kleinen Gestalten, die im Schwirrflug vor den Blüten stehen und sich durch Nektar stärken, sind aber nur eine stammesgeschichtlich noch viel weiter entfernte konvergente Entwicklung: Taubenschwänzchen oder »Kolibrischwärmer« und Hummelschwärmer sind Falter, die den Kolibris verhaltenstechnisch noch viel ähnlicher sind als die Nektarvögel, die den Schwirrflug nicht beherrschen und bei der Nahrungsaufnahme meist am Stiel der Blüte sitzen.
  • Colibri aus Bayern: 1824 wurde die Gattung Colibri von »unserem« Johann Baptist Ritter von Spix aufgestellt. Heute enthält sie nur noch 5 Arten von Veilchenohr-Kolibris.
  • Nicht mehr zeitgemäßes Schmuckstück: Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts waren »Vogelbäume« mit präparierten Vögeln beliebt, die z.B. während der warmen Jahreszeit offene Kamine im Wohnbereich kaschierten. In der ZSM ist ein damals besonders kostspieliger mit vielen Kolibris und einigen Tangaren vorhanden, der wohl auch die Stellung der früheren Besitzer demonstrieren sollte.

Abbildungen

Abb. 1 (Artikelbild): Standpräparat eines jungen Männchens des Schwertschnabelkolibris Ensifera ensifera. Der Oberschnabel war an der Spitze gespalten und wurde vor einigen Jahren restauriert. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 2: Blick in die Schublade mit den Bälgen des Schwertschnabelkolibris. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 3: Der Vogelbaum mit Kolibris und Tangaren. Einige Schwertschnäbel sind auch dabei. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 4: Strukturfarben bewirken das Schillern bei Kolibris, Morphos und Rosenkäfern. Foto: M. Unsöld, ZSM

Markus Unsöld