Objekt des Monats Januar 2024

Das Gefleckte Rüsselhündchen Rhynchocyon cirnei

Sowohl der deutsche Trivialname als auch das Aussehen führen bei diesem Tier in die Irre: es handelt sich weder um ein kleines Raubtier noch um einen Insektenfresser – zu denen die Rüsselhündchen ursprünglich tatsächlich gezählt wurden.

Heute werden sie zusammen mit Schliefern, Seekühen, Rüsseltieren, Goldmullen, Tenreks, Otterspitzmäusen und Erdferkeln in die molekulargenetisch aufgestellte Überordnung Afrotheria gestellt und bilden dort mit den kurzbeinigeren Elefantenspitzmäusen und der Rüsselratte die Ordnung der rezent 20 Arten umfassenden Rüsselspinger, Macroscelidea (wörtlich übersetzt »Großschenkler«).

Mit einer Kopfrumpflänge von bis zu 30 cm, einer Schwanzlänge bis zu 25 cm und einem Gewicht bis zu 750 Gramm sind Rüsselhündchen die größten Vertreter der Rüsselspringer. Bisher wurden 5 Arten beschrieben, die in Ost- und Zentralafrika verbreitet sind. Vom Gefleckten Rüsselhündchen sind 5 Unterarten bekannt.

Rüsselhündchen sind tagaktiv, worauf schon ihr auffällig gezeichnetes Fell hindeutet. Auf langen Beinen huschen sie durch ihr Revier und suchen am und im Boden grabend nach Nahrung, die aus Insekten und deren Larven, Spinnen, Tausendfüßern und Würmern besteht. Dazu haben sie eine lange und extrem bewegliche Nase entwickelt, die sich zum olfaktorischen Aufspüren von Beute in nahezu jede Richtung drehen lässt. Auch die Augen und Ohren sind vergrößert, um die weitere Umgebung sowohl nach Prädatoren (Schlangen, Greifvögel, Raubtiere und Menschen) als auch Futtertieren absuchen zu können. Eine Anpassung an die Nahrungssuche im Boden sind nur drei mit Grabkrallen ausgestattete Zehen an den Vorderpfoten. Auffällig ist auch die Länge der Zunge.

Wie die anderen Rüsselspringer scheinen Rüsselhündchen lebenslang monogam zu sein, wobei sie zwar dasselbe Revier nutzen, aber außer zur Paarung kein ausgeprägtes Interesse aneinander zeigen. Paarbindende Verhaltensweisen sind kaum zu finden, und es gibt auch kein gemeinsames Schlafnest. Nicht einmal bei der Revierverteidigung kooperiert das Paar; meist werden nur Artgenossen desselben Geschlechts vertrieben, während es mit andersgeschlechtigen Eindringlingen zu Paarungen kommen kann. Eigene Feldbeobachtungen am Goldrücken-Rüsselhündchen haben den Afrotheria-Spezialisten Dr. Galen B. Rathbun zu der Annahme geführt, dass eher die Aggression gegenüber Artgenossen desselben Geschlechts als eine typische Paarbindung zu der paarweise erscheinenden Verteilung der Individuen im Verbreitungsgebiet führt.

Die Fortpflanzung erfolgt während des ganzen Jahres. Rüsselhündchen werden nach einer Tragzeit von etwa 42 Tagen mit geschlossenen Augen geboren und sind Lagerjunge, die ein bis wenige Male pro Tag von der Mutter nur kurz zum Säugen aufgesucht werden. So bleiben sie nahezu geruchlos und sind vor den feinen Nasen der Prädatoren geschützt. Mit zwei Wochen beginnen sie der Mutter zu folgen. Das Männchen beteiligt sich nicht an der Aufzucht. Bereits mit 5 Wochen erreicht der Nachwuchs die Geschlechtsreife.

Unser Rüsselhündchen wurde 1928 gesammelt und von Gustav Küsthardt (1900 – 1934 als Präparator in der Sammlung) in einer lebensnahen Haltung aufgestellt. Es trägt die Eingangsnummer 1928/449.

Im 2018 erschienenen Band 8 des Handbook of the Mammals of the World werden alle 20 Rüsselspringer-Arten behandelt.

5 Fakten über Rüsselhündchen

  • Nomen est Omen: 1847 wählte der deutsche Zoologe und spätere Direktor des Berliner Zoologischen Gartens Prof. Wilhelm Peters (1815 – 1883) für die Rüsselhündchen aufgrund der langen Nase und der großen oberen, hundeähnlichen Eckzähne der Männchen den Gattungsnamen Rhynchocyon (griechisch rhynchos »Rüssel« und cyon »Hund«).
  • »Urviech«: Die heutigen Rüsselhündchen weisen kaum Unterschiede zu ihren vor 20 Millionen Jahren im Gebiet des heutigen Victoriasees verbreiteten Vorfahren auf und sind für den Wirbeltier-Paläontologen Dr. Michael Novacek eines der besten Beispiele für »Lebende Fossilien« unter den Säugern.
  • Trivialnamen: Elefantenspitzmäuse oder Elephant shrews wurden die Vertreter der Macroscelidea früher genannt; heute werden sie als Rüsselspringer oder Sengis bezeichnet, um sie von den zu den Insectivora zählenden Spitzmäusen klar abzugrenzen.
  • Leben auf der Überholspur: Rüsselhündchen erreichen in der Wildnis eine Lebenserwartung von nur 4-5 Jahren. Unter Zoobedingungen liegt der Altersrekord bisher bei 11 Jahren, was wohl an einem stressärmeren Leben ohne Feinddruck und mit ausreichend Futter liegt.
  • Gefährdung: Rüsselhündchen leiden vor allem am Verlust ihrer Lebensräume, werden aber auch gejagt. Tendenziell nehmen die Bestände fast aller Arten ab. Der Gefährungsstatus der 5 rezenten Rhynchocyon-Arten nach der Roten Liste der IUCN ist folgender:
    • Goldsteiß-Rüsselhündchen R. chrysopygus: stark gefährdet
    • Geflecktes Rüsselhündchen R. cirnei: gering gefährdet
    • Dunkles Rüsselhündchen R. stuhlmanni: nicht ausgewertet
    • Rotschulter-Rüsselhündchen R. petersi: gering gefährdet
    • Graugesicht-Rüsselhündchen R. udzungwensis: gefährdet

Abbildungen

Abb. 1: Küsthardts Dermoplastik des Gefleckten Rüsselhündchens. Foto: M. Unsöld

Abb. 2: Eine lange Nase, große Augen und Hochbeinigkeit zeichnen die Rüsselhündchen aus. Foto: M. Unsöld

Abb. 3: Barbara Ruppel hat dem ZSM-Präparat wieder Leben eingehaucht; die Sprungstudien stammen aus Filmsequenzen.

Markus Unsöld