Objekt des Monats Dezember 2023

Kahlkopfibis Geronticus calvus (Boddaert, 1783)

Der Kahlkopfibis oder Glattnackenrapp ist ein in Südafrika verbreiteter Ibis und eine der beiden rezenten Geronticus-Arten; weitaus bekannter ist seine Schwesterart, der Waldrapp, der früher rund ums Mittelmeer verbreitet war und heute als migrierender Brutvogel in Mitteleuropa wiederangesiedelt wird.

Der Name dieser Gattung ist ganz eng mit dem Vorläufer der ZSM und einem der ersten Mitarbeiter verknüpft.

Johann Georg Wagler (1800-1832), der Adjutant von Spix, hat nach dessen Tod weiter mit der Sammlung gearbeitet und zahlreiche neue Arten beschrieben. Die bekannteste ist sicher der Spix-Ara, eine weitere der Krauskopfarassari.

Letzterer und der folgende Balg stammen aus der Sammlung von Eugène de Beauharnais, Stief- und Adoptivsohnsohn von Napoleon, Herzog von Leuchtenberg und Fürst von Eichstätt. Fast 4000 Bälge und Dermoplastiken kamen 1856 in die Alte Akademie.

Wagler hatte schon vorher Zugang zur Leuchtenberg-Sammlung, denn bis 1932 beschrieb er daran neue Taxa. Einer der von ihm verwendeten Bälge (Abb. 1) trug den Gattungsnamen Tantalus, war wohl wegen seines kahlen Kopfes und dem leicht gebogenen Schnabel zu den Nimmersatten gestellt worden. Wagler erkannte, dass es sich um einen keiner der bisher bekannten Gattungen zuzuordnenden Ibis handelte. In Neue Sippen und Gattungen der Säugethiere und Vögel beschreibt er in Spalte 1232 deshalb die Gattung Geronticus, Kahlibis, und führt drei Arten auf: Neben dem Kahlkopfibis G. calvus und einem G. papillatus (vermutlich der Warzenibis, heute Pseudibis papillosa) erwähnt er eine Spec. nov. aus Ägypten, die er dem Kahlkopfibis für noch ähnlicher hielt. Diese Ähnlichkeit, und dass es sich um einen ihm unbekannten Ibis handelte, deutet stark auf den Waldrapp hin. Der war aus Ägypten nicht nur schon seit tausenden Jahren verschwunden, sondern auch nach seiner Ausrottung in Europa im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts sehr bald aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht worden. Trotz der sehr genauen Beschreibung und einen hervorragenden Holzstich in Conrad Gessners Vogelbuch (1557) wurde er bald als »Fabeltier« und Irrtum Gessners angesehen und erst Ende des 19. Jahrhunderts als Art wiederentdeckt! Tatsächlich war er aber im marokkanischen Atlas und im Nahen Osten noch als Zugvogel vorhanden. Sehr wahrscheinlich war einer davon während der Migration von seiner Route abgekommen und in Ägypten geschossen oder tot aufgefunden worden. Leider gibt Wagler keine weiteren Informationen zum Verbleib dieses Vogels. Der Heilige Ibis oder Pharaonenibis Threskiornis aethiopicus dagegen war schon seit 1790 beschrieben und zeitweise auch Geronticus zugeordnet, aber ihn hätte Wagler sicher nicht mit dem Kahlkopfibis verglichen!

4 Fakten über Geronticus-Ibisse

  • Gefährdung: Der in der IUCN Red List als gefährdet eingestufte Glattnackenrapp ist in der Wildnis häufiger, vom stark gefährdeten Waldrapp werden dafür mehr Individuen in Zoos gehalten und nachgezüchtet. Das EEP-Zuchtbuch der Art befindet sich im Alpenzoo Innsbruck.
  • Keine Aasfresser: Während der ebenfalls kahlköpfige Heilige Ibis mit seinem kräftigen Schnabel durchaus in der Lage ist, Kadaver zu nutzen, ist der fragile Schnabel der Geronticus-Arten nicht dafür geeignet. Mit diesem fein innervierten »Werkzeug« findet der Waldrapp hauptsächlich Wirbellose im Boden in bis zu 10 cm Tiefe. Der kahle Kopf dient zur Thermoregulation, durch stärkere Durchblutung während der Balzzeit als Stimulator, und beim Waldrapp zur individuellen Erkennung – jedes Tier besitzt eine andere Zeichnung.
  • Trivialnamen: Geronticus calvus war bisher als Glattnackenrapp oder Kahlkopfibis bekannt. Für die 2022 erstellte Liste Die Vögel der Erde wurde letzterer gewählt, obwohl es viele Gattungen kahlköpfiger Ibisse gibt und die nahe Verwandtschaft mit dem Waldrapp durch den anderen Namen deutlich gewesen wäre. Vermutlich hat man sich an der englischen Bezeichnung Southern Bald Ibis orientiert; dort ist der Bezug zwischen den beiden Arten noch gegeben: Der Waldrapp heißt Northern Bald Ibis.
  • Ibis-Gattungsnamen: Neben Geronticus hat Wagler auch die noch heute gültigen Gattungen Theristicus, Eudocimus und Phimosus aufgestellt.

Abbildungen

Abb. 1 (Artikelbild): Das von Wagler umbenannte Präparat des Kahlkopfibises Geronticus calvus. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 2: Der relativ kurze Schnabel deutet auf ein Weibchen hin. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 3: Das Etikett zeigt die Herkunft des Tieres, Kap der guten Hoffnung, und den Sammler bzw. Käufer, Herzog von Leuchtenberg. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 4: Die langen Schopffedern und die Kopfzeichnung sind deutliche Merkmale für den Waldrapp. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 5: Die kurze, aber prägnante Beschreibung der neuen Gattung Geronticus.

Markus Unsöld