Objekt des Monats Dezember 2021

Ein »echter« Baumschwamm: Drulia brownii

Schwämme sind die ursprünglichsten mehrzelligen Tiere. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, handelt es sich bei den etwa 10.000 Arten um festsitzende, krusten-, schlauch-, oder urnenförmige Filtrierer, die ihre mikroskopisch kleinen Nahrungspartikel mithilfe sogenannter Kragengeißelzellen in ein Labyrinth aus Kammern und Kanälen strudeln. Nährstoffhaltiges Wasser wird dabei kontinuierlich durch zahlreiche kleine Eintrittsporen in den Schwammkörper gesaugt und strömt anschließend, von seiner nahrhaften Fracht befreit, durch größere Austrittsporen wieder aus. Auch Abfallprodukte und Geschlechtszellen verlassen auf diesen Weg den Schwamm. Diese ans Wasser gebundene Lebensweise macht deutlich, weshalb die Schwämme in ihrer über eine halbe Milliarde Jahre währenden Entwicklungsgeschichte nie den Schritt an Land geschafft haben. Aber ist das wirklich wahr?

Die neotropische Gattung Drulia scheint hier eine merkwürdige Außenseiterrolle zu spielen. Nicht nur, dass man die teils recht stattlichen Tiere regelmäßig außerhalb des Wassers antrifft – nein, Drulia-Schwämme wachsen epiphytisch im Geäst der Bäume, oft mehrere Meter über dem Waldboden. Wovon leben nun diese seltsamen »Baumschwämme«? Strudeln sie etwa Luft durch ihre Kammersysteme und ernähren sich von Staub, Pollen und Sporen? Oder haben sie Ihre filtrierende Lebensweise ganz an den Nagel gehängt, um stattdessen eine Partnerschaft mit Fotosynthese betreibenden Algen einzugehen – gleichsam wie tierische Flechten?

Nun, um des Rätsels Lösung zu finden, empfiehlt sich eine kurze Betrachtung der Ökologie ihres Lebensraums. Drulia lebt in den Überschwemmungswäldern großer südamerikanischer Flüsse. Während der Regenzeit stehen hier die Bäume monatelang bis zu den Kronen unter Wasser und somit auch jene Äste, auf denen die Schwämme sitzen. In dieser Zeit benimmt sich Drulia wie ein ganz normaler Schwamm. Sie filtriert das schwebstoffreiche Wasser, sie entlässt, wie andere Schwämme auch, Eier und Spermien ins Wasser, wo nach erfolgreicher Befruchtung schließlich die frei schwimmenden Larven schlüpfen und nach einer kurzen mobilen Phase sesshaft werden. Wo? Natürlich auf den Ästen und Stämmen der untergetauchten Bäume.

Wenn sich, mit Einsetzen der Trockenzeit, das Wasser allmählich zurückzieht, bildet Drulia in ihrem Inneren Tausende kleiner runder Gebilde, sogenannte Gemmulae, die, umgeben von einem Panzer spitzer Silikatnadeln, ein kleines Häufchen Stammzellen enthalten – das restliche Schwammgewebe stirbt ab. Was man in den trockengefallenen Auwäldern an den Ästen der Bäume sieht, sind also lediglich Schwammskelette, die aus einem Flechtwerk aus Proteinfasern und unzähligen mikroskopisch kleinen Nadeln aus Siliziumdioxid bestehen. Wenn nun, während der nächsten Regenzeit, die Pegel wieder steigen und Wasser in das ausgedörrte Kammersystem des Schwammskeletts sickert, erwacht Drulia zu neuem Leben. Die Gemmulae, bei denen es sich um identische Klone des Ursprungstieres handelt, keimen aus und überziehen das Skelett mit einer Hülle aus lebenden Zellen, die Kragengeißelzellen schlagen wieder, neue Eier reifen heran – der Kreis schließt sich.

Die hier präsentierten Exemplare wurden im Dezember 1962 von Prof. Ernst Josef Fittkau, dem ehemaligen Direktor der Zoologischen Staatssammlung, in Zentralamazonien, am Rio Preto da Eva, einem Zufluss des Amazonas unterhalb von Manaus gesammelt. Die ZSM ist im Besitz zahlreicher, teilweise sehr stattlicher Exemplare dieser Art.

5 Fakten zu Drulia

  • Heimische Verwandtschaft: Drulia brownii (Bowerbank 1963) gehört der artenreichen Klasse der Hornkieselschwämme (Demospongiae) an. Einige wenige Arten dieses überwiegend marinen Taxons besiedeln das Süßwasser – neben Drulia z.B. auch unser heimischer Süßwasserschwamm Spongilla lacustris, den man sogar mitten in der Großstadt München in den künstlich angelegten Seen, Bächen und Kanälen des Nymphenburger Schlossparks finden kann.
  • Schwammige Artenvielfalt: Die Diversität der Süßwasserschwämme ist unzureichend erforscht. Insbesondere in den Tropen kann mit der Entdeckung zahlreicher neuer Arten gerechnet werden. Allein in Afrika sind von den 58 bekannten Arten 31 lediglich von der Erstaufsammlung bekannt.
  • Mitbewohner: Das Kammerlabyrinth von Drulia wird von verschiedenen wirbellosen Tieren besiedelt, darunter auch Kugelmuscheln (Sphaeriidae) der Gattung Eupera. Wie die Jungtiere dieser lebendgebärenden Muschelart ins Innere des Schwammes gelangen ist ein ungelöstes Rätsel. Fest steht, dass die ausgewachsenen Tiere zu groß sind, um denselben zu verlassen.
  • Reizend: Die glasharten, nadelspitzen Spiculae von Drulia sind imstande sich durch die menschliche Haut zu bohren und Reizungen und Geschwüre zu verursachen. Gelangen sie ins Auge, kann dies zu schweren Schäden führen, die die Sehfähigkeit nachhaltig beeinträchtigen.
  • Kultur: In präkolonialer Zeit nutzten verschiedene Ethnien des Amazonasgebietes die Schwammnadeln, um ihrer Keramik eine hohe Festigkeit zu verleihen. Die ältesten Töpferwaren dieser Art sind 3500 Jahre alt und stellen den ersten biologischen Verbundwerkstoff (Komposit) der Menschheitsgeschichte dar.

Bildlegende

Abb. 1 (Artikelbild): Mehrere Exemplare des neotropischen Baumschwamms Drulia brownii an einem Ast. Foto: Eva Lodde-Bensch (SNSB-ZSM).

Abb. 2: In dieser Schemazeichnung zum Wechsel der Wasserstände in den Überflutungsgebieten Amazoniens wird deutlich, wie Drulia brownii in die Bäume kommt.

Abb. 3: Drulia brownii aus der Nähe betrachtet; an den eingewachsenen Blättern können Botaniker erkennen, auf welcher Baumart dieser Schwamm einst wuchs. Foto: Eva Lodde-Bensch (SNSB-ZSM).

Abb. 4: Im Vergleich zu einem Erwachsenen zeigt sich die tatsächliche Größe von Drulia browni. Foto: M. Unsöld (SNSB-ZSM).