Objekt des Monats Juni 2022

Der Riesenalk Pinguinus impennis

In der ausführlichen Monografie »The Great Auk« (1999) von Errol Fuller wird für die ZSM im Gegensatz zu älteren Quellen nur ein Riesenalk-Präparat angegeben. Für die Ausstellung »200 Jahre ZSM« im Museum Mensch und Natur wurde es von Präparator Dieter Schön restauriert. Dabei zeigte sich, dass es sich tatsächlich um einen aus verschiedenen Vögeln zusammengesetzten »Wolpertinger« handelt: die dunklen Partien an Kopf und Hals stammen vom Kormoran Phalacrocorax carbo, der Rücken von einer schwarzen Hausente Anas platyrhynchos f. domestica, die Flügel vom Tordalk Alca torda, alle hellen Gefiederpartien und die Läufe von einem Seetaucher Gavia sp., und der Schnabel erwies sich als künstlich. Vermutlich hatte der von 1900 bis 1934 für die Sammlung zuständige Präparator Gustav Küsthardt zur Eröffnung der Ausstellung »Ausgestorbene und seltene Tiere« in der Alten Akademie ein Replikat erschaffen, um die beiden wertvollen Präparate nicht dem Licht auszusetzen.

Was aber war mit den Originalen geschehen? Wurden sie im Krieg oder während der Umzüge zerstört oder sogar gestohlen?

Das sollte sich erst 2010 herausstellen, als in einer im Primatenmagazin gelagerten Kiste beide Riesenalke wiedergefunden wurden – abmontiert von ihrem ursprünglichen Sockel, aber unversehrt! Dieter Schön hat sie auf neue Sockel montiert, und sie stehen jetzt in einer Vitrine im Schauraum der ZSM.

Der Riesenalk ähnelte den Pinguinen in vielerlei Hinsicht: er war flugunfähig und an Land eher unbeholfen, im Wasser dafür gewandt wie ein Fisch. Seine Zeichnung mit heller Brust und Bauch und dunklem Rücken lösten seinen Körperumriss im Meer sowohl von unten als auch aus der Luft gesehen auf. Ein schönes Beispiel für konvergente Entwicklung zweier an dieselbe Lebensweise angepasster, nicht verwandter Vogelgruppen.

Riesenalke brüteten auf der Küste vorgelagerten Inseln, wo sie vor Raubtieren einigermaßen sicher waren. Nicht aber vor dem Menschen: immer wieder fuhren Schiffe die Brutkolonien an, und die Matrosen knüppelten die wehrlosen, flugunfähigen Vögel in Massen zu Tode. Ein Teil davon wurde als Nahrung oder zum Heizen an Bord gebracht, teilweise auch als lebenden Proviant mit den Füßen an den Planken festgenagelt. Der Rest wurde tot oder sterbend zurückgelassen. Die Art wurde aber auch von Daunensammlern zu Tausenden getötet. Bereits 1785 warnte Kapitän George Cartwright vor der Ausrottung der Art, doch ohne Konsequenzen… Im Jahr 1830 wurde die letzte große Kolonie auf der isländischen Insel Geirfuglasker durch einen Vulkanausbruch vernichtet. Der letzten Überlebenden sammelten sich auf der Felseninsel Eldey.

Unsere beiden Riesenalk-Präparate stammen aus dieser Zeit, als die Art kurz vor dem endgültigen Aus stand und Naturkundemuseen und private Sammler bemerkten, dass die Art noch in ihrer Sammlung fehlte. Expeditionen zum Fang dieser kostbaren Raritäten wurden entsandt.

Am 3. Juni 1844 wurde schließlich das letzte Paar auf Eldey getötet und ihr Ei im Eifer des Gefechts zertreten. Noch bis 1852 wurden Einzelvögel beobachtet, aber keine weitere Brut mehr nachgewiesen. Der Riesenalk war endgültig verschwunden.

Wie auch die nordamerikanische Wandertaube Ectopistes migratorius, die in Milliarden in den USA und Kanada vorkam und bis zu ihrer Ausrottung der zahlenmäßig häufigste Wildvogel der Welt war, denkt man auch beim Riesenalk über De-Extinction (ein Rückgängigmachen der Ausrottung durch genetische Rekonstruktion) nach. Doch selbst wenn es irgendwann gelingen sollte, auf diese Weise einen dem Äußeren nach perfekten und lebensfähigen Riesenalk zu erschaffen, ist das doch nur die äußere Hülle. Erlerntes Verhalten, das von einer Generation auf die andere übertragen wird, fehlt solchen genetisch erschaffenen Tieren völlig. Deshalb müssen alle Anstrengungen darauf ausgerichtet sein, Arten und ihre Lebensräume zu erhalten!

Markus Unsöld, Sektion Ornithologie der ZSM

4 Fakten zum Riesenalk:

  • Mahnmale für die Nachwelt: weltweit existieren noch 78 Präparate des Riesenalks. Ohne diese wüssten wir kaum etwas über diese Art. So haben wir nicht nur einen sehr guten Eindruck von der Größe, Zeichnung und Färbung dieses größten Alkenvogels, sondern wissen durch die Daten auf den Etiketten auch über Vorkommen und die Lage von Brutkolonien Bescheid – fast 180 Jahre nach ihrer Ausrottung!
  • Ausgerottet durch Sammler? Auch ohne die letzten Fangexpeditionen für Sammler und Museen wäre der Riesenalk nicht mehr zu retten gewesen: Der Raubbau des Menschen hatte die Art bereits zu stark dezimiert. Denn da sie in großen Kolonien brüteten, nur wenig Feinde und wohl eine hohe Lebenserwartung hatten, genügte es, dass jedes Weibchen jährlich nur ein einziges Ei legte.
  • Falsche Antwort: Die Antwort auf die beliebte Scherzfrage »Warum fressen Eisbären keine Pinguine?« ist tatsächlich nicht, dass sie auf entgegengesetzten Polen leben, sondern weil der Mensch den »echten« Pinguin ausgerottet hat! Noch vor der Entdeckung der heute Pinguine genannten Vogelordnung der Südhalbkugel wurde nämlich der Riesenalk der nördlichen Küsten so genannt und dieser Name dann auf sie übertragen.
  • »Brutmaschine«: unser männlicher Riesenalk hat an beiden Flanken auffällige kahle Stellen, die bisher als Fettbrand gedeutet wurden. Tatsächlich handelte es sich um einen Vogel, der während der Brutzeit getötet wurde und beidseitig deutliche Brutflecke aufweist.

Bildlegende

Abb. 1 (Artikelbild): Präparator Dieter Schön mit den beiden Originalen und der restaurierten Rekonstruktion. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 2: Das Replikat vor und nach der Restauration. Foto: D. Schön, MusMN

Abb. 3: Das Weibchen ZSM-ORN 00001089 auf einem historischen Lichtbild: Eismeer 1836. »1833 gekauft von Reinhart (Kopenhagen) durch Dr. Michahelles. Anscheinend aber erst 1836 an die Sammlung gekommen«. Auf dem Sockel der Schädel eines Riesenalks. Foto: M. Müller, ZSM

Abb.4: Das Männchen ZSM-ORN 00001088 auf einem historischen Lichtbild: Island. »1833 gekauft von Reinhart in Kopenhagen durch Dr. Michahelles. Aus der Sammlung des Herzog von Leuchtenberg«. Foto: M. Müller, ZSM

Abb. 5: Auch das »Ei des Riesenalk« in der Sammlung ist eine Rekonstruktion. Es ist mit mittlerweile verblasster grüner Tinte beschriftet: »G. Küsthardt Fecit aus einem Schwanenei«. Foto: M. Unsöld, ZSM