Objekt des Monats November 2022

Eckzahn des Narwals Monodon monoceros

Noch aus der Alten Akademie stammt dieser über 170 cm lange Stoßzahn eines Narwals. Obwohl Narwale zu den Zahnwalen zählen, bricht bei den Männchen von den embryonal angelegten Zähnen nur noch ein – meist der linke – oberer Eckzahn durch und entwickelt sich zu einem bis zu 3 Meter langen, spiralig gegen den Uhrzeigersinn gedrehten Stoßzahn; in einigen Fällen sind auch beide Eckzähne ausgebildet, und auch vereinzelte weibliche Tiere besitzen einen oder zwei davon.

Über die Funktion dieses Zahns wurde und wird spekuliert. Vor einigen Jahren konnten Forscher beobachten, dass Narwale ihn auf der Jagd nach Heilbutt, Kabeljau und anderen Fischen einsetzen, um ihre Beute mit Schlägen zu betäuben, bevor sie sie verschlingen; auch Schwert- und Sägefische verwenden ihren Kopfanhang auf diese Weise. Da er beim Narwal aber gewöhnlich nur bei den Männchen ausgebildet ist, sollte er eigentlich keine für beide Geschlechter wesentlichen Funktionen erfüllen. Von Kämpfen mit den Stoßzähnen wird berichtet, obwohl die Oberfläche des Zahns fein innerviert sein soll und das Aufeinanderschlagen oder gar Abbrechen schmerzhaft sein müsste. Vielleicht spielt er ja eher beim bisher unbekannten Paarungsverhalten eine Rolle, z.B. um den Körper des Weibchens damit zu »streicheln« und so in Stimmung zu bringen.

Narwalbullen erreichen, ohne den Zahn gemessen, eine Maximallänge von 5 Metern. Die Kühe bleiben kleiner. Sie leben in Familienverbänden aus einem ausgewachsenen Bullen, mehreren Kühen und deren Kälbern, die sich zu größeren Gruppen zusammenschließen, die während der jahreszeitlichen Wanderungen zu Herden von über tausend Tieren anwachsen können.

Narwale wurden Anfang des 20. Jahrhunderts kurzfristig kommerziell genutzt. Heute werden sie nur noch von einigen indigenen Völkern gejagt. Sie leiden aber in mehrfacher Hinsicht unter dem Klimawandel, da sie an arktische Meere angepasst sind und im Winter in Gebieten mit bis zu 98 % Packeis-Bedeckung leben, die ihnen bisher auch Schutz vor ihrem Hauptprädator, dem Schwertwal Orcinus orca, boten. Mit den steigenden Temperaturen verlieren sie ihre Jagdgründe und Zufluchtsorte. Die immer unberechenbarere Witterung kann aber auch zu Eisbildungen führen, in denen große Narwalherden eingeschlossen werden und sterben. Auch die Bestände ihrer Beutefische werden durch den Klimawandel und die Befischung beeinflusst. In der IUCN Red List wird die Art derzeit zwar als »nicht gefährdet« gelistet, gleichzeitig wird die zu erwartende Bestandsentwicklung dort aber als »unbekannt« angegeben https://www.iucnredlist.org/species/13704/50367651. Es bleibt zu hoffen, dass das »Einhorn der Meere« zukünftigen Generationen erhalten bleibt.

Unser Objekt des Monats ist Teil der Ausstellung »Fabel-Haft: Der Ursprung der Fabelwesen«, die bis zum 14. April 2023 im Foyer der Uni-Fachbibliothek Philologicum, Ludwigstraße 25 (Erdgeschoss) zu sehen ist; zu fast jedem Objekt aus der ZSM gibt es eine passende, meist kostbare Ausgabe aus der Bibliothek, z.B. eine handkolorierte Ausgabe von Gessners Tierbuch aus der Mitte des 16. Jahrhunderts.

https://www.ub.uni-muenchen.de/aktuelles/veranstaltungen/ausstellung-fabel-haft/index.html

4 Fakten zum Narwal

  • Mini-Familie: usammen mit dem Beluga oder Weißwal Delphinapterus leucas bildet er die Familie der Gründelwale (Monodontidae) innerhalb der Delfinartigen (Delphinoidea), zu denen noch die beiden Familien Schweinswale (Phocoenidae, 8 Arten) und Delphine (Delphinidae, 37 Arten) gehören.
  • Erstbeschreibung: Linné beschrieb den Narwal 1758 als Monodon monoceros und bezeichnete ihn damit wortwörtlich als »einhörnigen Einzahn«.
  • Marines Einhorn: Im Mittelalter waren mit »Einhorn-Hörnern« lukrative Geschäfte zu machen, denn sie wurden zum mehrfachen Goldpreis gehandelt. Heute ist das Einhorn meist ein pastellfarbener Sympathieträger, aber damals galt es als wilde Bestie, die sich nur durch die Unschuld einer Jungfrau zähmen ließ. Seinem Horn wurden magische Fähigkeiten wie Entgiftung und Schutzwirkung zugesprochen, und geschäftstüchtige Händler wussten die Gier nach diesem Wundermittel mit dem Narwalzahn zu befriedigen.
  • Heutige »Einhörner« Die mittelalterlichen Ansichten im Mittelalter gegenüber Teilen eines mystischen Tieres erscheinen grotesk und abergläubisch. Aber leider hat sich diese Einstellung trotz eines unglaublichen Wissenszuwachses seither bis heute nicht geändert: immer noch werden Körperteilen von Tigern, Nashörnern, Schuppentieren und Haien heilende, stärkende oder aphrodisierende Wirkungen nachgesagt. Obwohl keine dieser Behauptungen durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt werden konnte, haben sie viele der jeweiligen Träger an den Rand der Ausrottung gebracht.

Bildlegende

Abb. 1 (Artikelbild): Die »Einhorn-Vorlage« in der Ausstellung. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 2: Ein handkoloriertes Exemplar von Gessners Tierbuch aus der Mitte des 16. Jahrhunderts mit dem mystischen Einhorn ist ebenfalls zu bewundern. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 3: Auf dem Plakat zur Ausstellung ist auch das Einhorn abgebildet. Gestaltung: Annerose Wahl

Markus Unsöld