Objekt des Monats Februar 2023

Kaukasus-Wisent Bos (Bison) caucasicus

Das größte Standpräparat im Schaumagazin, sogar der ganzen ZSM, ist das eines als »Bergwisent« ausgeschilderten Wisentbullen von Präparator Gustav Küsthardt. Es wurde Anfang des 20. Jahrhunderts angefertigt. Ob die Dermoplastik den Bombeneinschlag im April 1944 in der Alten Akademie überstanden hat oder wie einige andere wertvolle Exponate zuvor sicherheitshalber ausgelagert wurde, ist nicht bekannt.

Wisente sind die schwersten rezenten Landsäuger Europas und nach der Ausrottung der Auerochsen oder Ur die einzigen europäischen Wildrinder. Kaukasus- oder Bergwisente galten als Unterart des größeren (Flachland-)Wisents Bos bonasus, werden aber heute meist als eigene Art Bos caucasius behandelt. Sie waren mit maximal 1,60 m Widerristhöhe und bis zu 480 kg Körpergewicht deutlich kleiner als der Wisent, bei dem Bullen bis zu 1,85 m Widerristhöhe und über 800 kg Gewicht erreichen können. Ein auffälliges Merkmal ist das gelockte Fell, das beim Präparat der ZSM aber nicht so ausgeprägt ist. Möglicherweise befand sich das Tier im Fellwechsel, denn laut Etikett wurde es Anfang Juni 1913 geschossen.

Im ersten Weltkrieg und danach wurde beiden Wisentarten in großem Maße nachgestellt. 1927 war mit dem Abschuss der letzten drei bekannten Kaukasuswisente in der Natur das Schicksal dieser Art besiegelt. Auch der Flachlandwisent stand unmittelbar vor der Ausrottung. Glücklicherweise gab es noch einige Wisente in europäischen Zoos, mit einem Tiefststand von nur noch 13 fortpflanzungsfähigen Tieren, darunter auch der Kaukasuswisentbulle »Kaukasus« (Zuchtbuchnummer 100), dessen genetische Information in der sogenannten Flachland-Kaukasus-Linie und einer Hochlandlinie (in der auch Amerikanische Bisons Bos bison eingekreuzt wurden) enthalten ist. Daneben wird eine reine Flachland-Linie erhalten.

Dank einer erfolgreichen Nachzucht in Zoos und Wildgehegen gibt es heute verschiedene wiederangesiedelte Wisentherden in Europa, auch in Deutschland: Im Rothaargebirge von Nordrhein-Westfalen werden Wisente der Flachland-Kaukasus-Linie in einem 20 Hektar großen Gehege gehalten, eine zweite Herde lebt seit 2013 frei in den Wittgensteiner Wäldern um Bad Berleburg. Wisente zeigen wie viele andere Wildtiere wenig Scheu vor dem Menschen, wenn sie nicht bejagt werden. Sie lassen Besucher sehr nahe an sich heran, bevor sie zurückweichen oder angreifen, wenn sie sich oder ihren Nachwuchs bedroht fühlen. Mit Hunden kam es bereits mehrfach zu gefährlichen Zwischenfällen. Andererseits machte ein wilder Wisent namens »Pulpit« Mitte der 1960er in Polen Schlagzeilen, als er sich an Marktständen selbst bediente und Kindern Futter direkt aus der Hand nahm. Wisente sind Wildtiere, die mit Vorsicht behandelt werden müssen.

Die Dermoplastik des Kaukasus-Wisent hätte das Potenzial, im zukünftigen Naturkundemuseum Bayern gemeinsam mit anderen Präparaten ausgerotteter Tierarten der ZSM das Problem der menschengemachten Biodiversitätskrise sichtbar zu machen.

3 Fakten über Wisente

  • Erste Erhaltungszucht: 1923 wurde die Internationale Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents in Berlin gegründet; das Wisent-Zuchtbuch ist der Auftakt der Arterhaltungszuchten (Europäisches ErhaltungszuchtProgramm = EEP) von Zoos. Auch der Münchner Tierpark Hellabrunn war daran beteiligt und hatte unter Direktor Heinz Heck einen »Wisent-Zuchtpark«.
  • Kein Waldtier: Sein Vorkommen im Nationalpark Białowieża legt nahe, dass der Wisent ursprünglich im Wald lebte. Tatsächlich benötigt er wie der Bison aber große Weideflächen, die er in einem dichten Wald nicht findet. Kurz vor Ende des 2. Weltkriegs wurden die in Białowieża in Gatterhaltung befindlichen Wisente vor dem Ansturm der Roten Armee freigelassen, um ihr Abschlachten zu verhindern. Zugute kam ihnen, dass dieser Urwald ziemlich licht ist und genügend Bodenbewuchs zulässt, der von den Wildrindern gefressen wird.
  • Kein Haustier-Potenzial: Insgesamt wurden 5 Wildrinder domestiziert: Auerochse Bos primigenius (Hausrind Bos taurus/Zebu Bos indicus), Gaur Bos gaurus (Gayal Bos frontalis), Banteng Bos javanicus (Balirind Bos domesticus), Yak Bos mutus (Hausyak Bos grunniens) und Arni = Wildwasserbüffel Bubalus arnee (Hauswasserbüffel Bubalus bubalis). Der Wisent wurde nie domestiziert, aber wie auch der nordamerikanische Bison Bos bison mit Hausrindern gekreuzt. Die Hybriden sind meist größer und schwerer als ihre Eltern (Heterosis-Effekt).

Bildlegende

Abb. 1 (Artikelbild): Der Kaukasuswisent (hinter dem Quagga) im Schaumagazin der ZSM. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 2: Das Etikett mit den Daten am Hinterbein der Dermoplastik. Foto: M. Unsöld, ZSM

Abb. 3: Abb. 3: Der Vorderkörper des Bullen. Foto: M. Unsöld, ZSM

Markus Unsöld