Xenophora pallidula

Objekt des Monats Oktober 2023

Die blasse Lastträgerschnecke (Xenophora pallidula) – ein gesammelte Sammlerin

Naturkundliche Sammlungen sind Archive der Natur – zusammengetragen von Generationen von Forschern, allesamt bestrebt, durch unermüdliches Sammeln von Gesteinen, Fossilien, Tieren, Pflanzen und vielem mehr, ein tieferes Verständnis vom Gefüge des Universums zu erlangen.

Was viele nicht wissen: In der Zoologischen Staatssammlung München, genauer gesagt, im Magazin der Sektion Mollusca (Weichtiere) schlummert ein ganz besonderer Schatz: eine Sammlung bestehend aus Sammlerinnen. Ja, Sie haben richtig gelesen – Sammlerinnen. Allerdings handelt es sich bei der betreffenden Gattung nicht um Menschen sondern um Meeresschnecken mit dem geheimnisvollen Namen Xenophora. Das ist Altgriechisch und bedeutet so viel wie »Jene die Fremdes trägt« und ein kurzer Blick in die Schublade mit der entsprechenden Aufschrift genügt, um festzustellen, dass der Name nicht treffender hätte gewählt werden können. In kleinen Kartons liegen, neben- und übereinander gestapelt, flach kegelförmige Schneckenschalen, die über und über mit den unterschiedlichsten Objekten beklebt sind. Manche Arten sind, der Windung folgend, mit einem Collier aus kleinen Steinchen und Muschelsplittern besetzt, andere hingegen kreuz und quer mit sperrigen Gesteinsbrocken, wieder andere stellen ganze Kollektionen unterschiedlichster Objekte zur Schau: Steine, Korallen, Schneckenhäuser, Muschelschalen. Es gibt aber auch Sammlerinnen mit besonderen Vorlieben: Xenophora conchyliophora, die »muscheltragende Fremdträgerin« schmückt sich, wie der Name verrät, mit spiralig angeordneten Arrangements ganzer Muschelschalen – alle fein säuberlich mit der konkaven Seite nach oben orientiert.

Xenophora pallidula, Etikett

Auch der deutsche Name – Lastträgerschnecken – nimmt Bezug auf die merkwürdige Angewohnheit dieser Schnecken Dinge auf dem Meeresgrund einzusammeln, an den Schalenrand zu kitten und zeitlebens mit sich herumzutragen. Man kennt etwa 16 heute lebende Arten und eine ganze Reihe fossiler Formen, die bis in die Kreidezeit zurückreichen.

Warum sich diese Tiere Fremdkörper an die Schale kitten, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Manche Autoren gehen davon aus, dass die angehefteten Objekte der Tarnung dienen und in der Tat sind Lastträgerschnecken, die im Flachwasser leben, nur sehr schwer zu erkennen – sie verschmelzen regelrecht mit ihrer Umgebung. Allerdings gibt es auch Arten, die in der ewigen Finsternis der Tiefsee zuhause sind. Hier unten macht optische Tarnung keinen Sinn, allerdings könnten die Fremdkörper den Tast- und Geruchssinn etwaiger Räuber in die Irre führen, oder durch ihre Sperrigkeit das Herunterschlucken erschweren.

Es gibt aber auch Theorien die in eine ganz andere Richtung gehen. Die mit Steinen beladenen Arten könnten durch das zusätzliche Gewicht verhindern, von Wellen umgeworfen zu werden. Bei Weichbodenbewohnern, könnten vom Schalenrand abstehende Objekte das Einsinken erschweren – ganz nach dem Prinzip eines Schneeschuhs. Zusätzlich würde dies der Schnecke ermöglichen, unterhalb ihrer Schalenkonstruktion gut geschützt den Meeresgrund abzuweiden. Diese Kombination aus Schneeschuh- und Schutzdacheffekt wurde kürzlich für die Mittelmeer-Lastträgerschnecke (X. crispa) diskutiert. In der entsprechenden Veröffentlichung wurden fossile und heute lebende Individuen miteinander verglichen. Es zeigte sich, dass bei dieser Art das Aufkleben von Fremdkörpern seit zwei Millionen Jahren nach dem exakt gleichen Schema erfolgt – offensichtlich ein evolutionsbiologisches Erfolgsrezept.

Xenophora pallidula

In einer anderen Arbeit unter dem Titel »Lernen von der Sammlerin: Eine Abhandlung über die in Xenophora-Schalen verbauten azooxanthellaten Korallen […]« zeigen die Autoren, dass man sich die Sammelleidenschaft von Xenophora zunutze machen kann, wenn man Tiefseekorallen taxonomisch und biogeografisch erforschen will. Mehrere der von Xenophora gesammelten Korallen wurden in Gebieten nachgewiesen, in denen sie zuvor unbekannt waren, zwei Arten erwiesen sich sogar als neu für die Wissenschaft.

Bei dem hier vorgestellten Objekt handelt es sich um zwei miteinander verwachse Individuen der Blassen Lastträgerschnecke (Xenophora pallidula). Auf den ersten Blick könnte man meinen, hier hätte die größere Schnecke die Schale der kleineren auf ihrem Gehäuse montiert. Bei genauerer Betrachtung sieht man aber eindeutig, dass dies nicht der Fall sein kann. Lastträgerschnecken kleben immer nur einzelne Objekte mit ihrem kalkabscheidenden Mantelsekret an die Gehäusemündung. Wenn nun die Schale weiter wächst, wandert das zuletzt angeklebte Objekt der Windung folgend nach hinten, bis die Schnecke den nächsten Gegenstand an die nun wieder freigewordene Mündung kittet, usw. Dabei werden die anklebten Objekte, proportional zum Größenzuwachs der Schnecke, ebenfalls größer. Außerdem entspricht die Lage der aufgeklebten Objekte in etwa dem Mittelpunktswinkel der kegelförmigen Schale.

Betrachtet man nun das hier gezeigte Schneckenpaar, so sieht man, dass die kleinere Xenophora-Schale nicht direkt an jene der größeren gekittet ist. Die Verbindung erfolgt vielmehr über eine, an die Schale des kleineren Individuums geheftete Turmschnecke. Die Position und der Winkel sprechen eindeutig gegen eine zu Lebzeiten erfolgte Verbindung der beiden Schalen. Betrachtet man die Unterseite der größeren Schnecke, so fällt auf, dass aus deren Mündung das Skelett eines Glasschwamms (Farrea occa) emporragt. Dieser Schwamm kann, genau wie die ebenfalls auf der Unterseite vorhandenen Kalkröhrenwürmer, die Schnecke erst nach deren Tod besiedelt haben.

Xenophora pallidula, Glasschwamm

Wendet man seinen Blick nun wieder der Verbindungsstelle zu, so erkennt man, dass auch hier ein Glasschwamm vorhanden ist, der die Schale der größeren Schnecke, als auch die mit der kleineren Xenophora verbundene Turmschnecke überwuchert hat. Offensichtlich lagen die leeren Schalen der beiden Schnecken direkt nebeneinander auf dem Tiefseeboden und wurden irgendwann von einem Glasschwamm auf immer und ewig miteinander verschweißt.

Thassilo Franke

Literatur:

Crippa, G., Pasinetti, G. & Dapiaggi, M. (2020) How did the carrier shell Xenophora crispa (König, 1825 build its shell? Evidence from the recent and fossil record. Lethaia, Vol. 53: 439 – 451.

Feinstein, N. & Cairns, S.D. (1998) Learning from the collector: a survey of azooxanthellate corals affixed by Xenophora (Gastropoda, Xenophoridae), with an analysis and discussion of attachment patterns. The Nautilus 112: 73 – 83.

Ponder, W.F. (1983) A revision of the recent Xenophoridae of the world and of Australian fossil species (Mollusca, Gastropoda). Australian Museum Memoir 17: 1 – 126.

5 Fakten über Lastträgerschnecken

  • Im Gegensatz zu den zwittrigen Landlungenschnecken, sind Lastträgerschnecken, wie die meisten Meeresschnecken, getrennt geschlechtlich – es gibt männliche und weibliche Tiere.
  • Lastträgerschnecken verbringen ihren ersten Lebensabschnitt als freischwimmende Larven im Plankton. Erst nach einigen Wochen oder Monaten sinken sie auf dem Meeresgrund und gehen zu einer bodenbewohnenden Lebensweise über. Mit dem Aufkleben von Fremdkörpern beginnen sie schon sehr früh.
  • Lastträgerschnecken wurden dabei beobachtet, wie sie ihren Kot vergraben. Auf diese Weise vermeiden sie es, eine verräterische Duftspur auf dem Meeresgrund zu hinterlassen.
  • In Europäischen Gewässern gibt es nur eine Xenophora-Art – die Mittelmeer-Lastträgerschnecke (X. crispa). Hier kommt sie vor allem im westlichen Mittelmeerraum vor. Allerdings kann man ihr mit etwas Glück auch an Land begegnen – als Millionen Jahre altes Fossil, z.B. im italienischen Piemont.
  • Viele Lastträgerschnecken sind bei der Auswahl ihrer Sammlungsobjekte wenig wählerisch. Auch menschliche Hinterlassenschaften wie Glasscherben, Kronkorken und rostige Schrauben werden bereitwillig eingebaut. Derartige Schalen sind bei Sammlern sehr gefragt, stehen sie doch symbolhaft für das Zeitalter des Menschen – das Anthropozän.

Bildlegende

Abb. 1 (Artikelbild): Zwei miteinander verbundene Individuen der Blassen Lastträgerschnecke (Xenophora pallidula)

Abb. 2: Das Originaletikett mit den Funddaten

Abb. 3: Aus dem Mündungsbereich des größeren Individuums wächst ein Glasschwamm (vermutlich Farrea occa). Die Unterseite ist mit mehreren Wurmröhren (Serpulidae) besetzt.

Abb. 4: Ein Glasschwamm überkrustet mit seinem Silikatskelett die Verbindungsstelle zwischen den beiden Lastträgerschnecken.