Objekt des Monats Dezember 2024
Das Zwergseidenäffchen Cebuella pygmaea (Spix, 1823)
Riesen und Zwerge erwecken in der Tierwelt besonderes Interesse. Zwergseidenäffchen sind extreme Zwerge: Größen- und gewichtsmäßig entsprechen sie einem Goldhamster -passen also locker auf die Hand-, sind aber deutlich graziler. Mit einer Kopfrumpflänge von 12 – 15 Zentimetern, zu der noch bis zu 23 cm Schwanzlänge kommen, und einem Gewicht von 85 bis 140 Gramm sind sie die kleinsten und leichtesten Affen.
In den Regenwäldern Amazoniens leben sie in kleinen Verbänden von 2 – 9 Tieren, die aus einem Elternpaar, deren Jungen und oft noch zugewanderten Artgenossen bestehen. Nur das dominante Weibchen pflanzt sich fort und steht in der Rangfolge über allen anderen Gruppenmitgliedern. Der Nachwuchs, meist Zwillinge, weist bei der Geburt eine Kopfrumpflänge von gerade mal 51 – 63 mm und ein Gewicht von 13 – 15 g auf und hält sich nur zum Säugen bei der Mutter auf. Die meiste Zeit kümmern sich der Vater und die anderen Mitglieder der Gruppe um die Kleinen, und zwar umso intensiver desto mehr Laute die Jungen von sich geben.
Bei der Ernährung überraschen sie mit einer für Affen ungewöhnlichen Spezialisierung: Mit den Schneidezähnen im Unterkiefer meißeln sie die Rinde von Bäumen auf und lecken die austretenden Baumsäfte – ihre Hauptnahrung – auf. Auch Lianen werden in dieser Form bearbeitet. Insekten und Spinnen werden ebenfalls gefressen, in geringerem Maße auch Früchte, Knospen, andere Pflanzenteile und sogar kleine Wirbeltiere.
Von ihrer berühmten Brasilien-Expedition (1817-1820) brachten der Zoologe Johann Baptist von Spix und der Botaniker Carl Friedrich Philipp von Martius eine größere Anzahl an Affenfellen, Schädeln und sogar einige lebende Affen mit. Die Präparatoren hatten zu dieser Zeit noch keine Erfahrung mit so exotischen Tieren, und so ist es kein Wunder, dass viele der Dermoplastiken eher skurril als naturnah ausfielen. 41 dieser Affen sind heute noch in der ZSM erhalten – darunter auch unser Objekt des Monats.
Das Zwergseidenäffchen (Abb. 1) beschrieb von Spix 1823 als Iacchus pygmaeus; in der Publikation ist eine Farbtafel enthalten (Abb. 2). Sehr wahrscheinlich saß das Tier ursprünglich wie auf dieser Abbildung auf einem Ast und wurde später umpräpariert, möglicherweise weil es in dieser grazilen Pose beschädigt wurde. Die Körperbiegung, die Stellung der Arme, der Verlust der rechten Hand und des linken Fußes sowie die unprofessionelle Fixierung mit Nägeln deuten darauf hin. Im Röntgenbild lassen sich diese Veränderungen gut erkennen (Abb. 3).
Wie andere über 200 Jahre alten Präparate auch hat es deutlich sichtbare Schäden; neben einer Hand und eines Fußes gingen beide Glasaugen und ein Teil des Schwanzes verloren, zudem weist es Fellverluste auf. Auch bei ihm gilt das Zitat des ehemaligen Säugetier-Kurators Dr. Richard Kraft: »Hübsch hässlich, aber wissenschaftlich wichtig«. Denn trotz seines Aussehens bleibt es der Holotypus seiner Art und wird es auch heute noch für wissenschaftliche Fragestellungen verwendet. Im Jahr 2023 wurde es von den Kollegen vom Deutschen Primatenzentrum Göttingen beprobt; trotz des hohen Alters eignet es sich durch minimale Konservierung ohne Gerbstoffe sehr gut für DNA-Untersuchungen.
Auch unser Objekt des Monats Juli 2023, der Goldgesichtsaki, stammt von der über 200 Jahre zurückliegenden Expedition nach Brasilien. Mehr zu den Spix-Affen, einschließlich der Bilder zur Ausstellung »Der Ritter und seine Affen«, die 2017-18 in der ZSM zu sehen war, finden Sie hier.
Markus Unsöld
Literatur
Burgin, C.J. et al (2020) Illustrated Checklist of the Mammals of the World. Volume 1: Monotremata to Rodentia. Lynx Edicions, Barcelona.
Mittermeier, R.A., Rylands A.B. & Wilson, D.E. eds. (2013) Handbook of the Mammals of the World. Vol 3. Primates. Lynx Edicions, Barcelona.
Spix, J.B. von (1823) Simiarum et Vespertilionum Brasiliensium Species Novae. Monachii.
4 Fakten über Zwergseidenäffchen
- Doppelte Namen: In der 1823 erschienenen Monografie »Simiarum et Vespertilionum Brasiliensium Species Novae« über südamerikanischen Affen und Fledermäuse beschrieb von Spix das Zwergseidenäffchen als Iacchus pygmaeus; auf der zugehörigen Farbtafel (Abb. 2) wird es als Midas pygmaeus bezeichnet. Diese Inkonsistenz der Namen kommt in den Publikationen über die Tiere der Expedition nach Brasilien öfters vor und ist möglicherweise auf den gesundheitlich bereits sehr angeschlagenen Zustand des Autors zurückzuführen, der am 13. Mai 1826 starb.
- Primatenzwerge: Zwergseidenäffchen sind zwar die kleinsten Affen, aber nicht die kleinsten Primaten. Diese Ehre gebührt dem Madame-Berthe-Mausmaki Microcebus berthae, der 1992 im Kirindy-Wald Madagaskars entdeckt wurde und als vom Aussterben bedroht gelistet wird.
- Zwerge im Doppelpack: Von der 1823 von Spix beschriebenen Art Cebuella pygmaea (Gelbbauch-Zwergseidenäffchen, nördlich des Amazonas und südlich des Rio Japurá) wurde 1940 eine Unterart abgespalten, die seit 2020 als eigene Art C. niveiventris (Weißbauch- oder Östliches Zwergseidenäffchen, zwischen Amazonas, Rio Madeira und den östlichen Vorbergen der Anden) gilt.
- Verwandtschaftsverhältnisse: Die Zwergseidenäffchen (Cebuella) gehören innerhalb der Familie Krallenaffen (Callitrichidae) zu den Marmosetten (Callitrichini), die auch noch die Seidenäffchen (Callibella, Mico) und die Büscheläffchen (Callitrix) beinhalten. Die nahe Verwandtschaft zeigte sich nicht nur genetisch, sondern auch in einer Gemeinschaftshaltung von Zwergseidenäffchen Cebuella pygmaea und Weißbüscheläffchen Callitrix jacchus, bei der es zu lebensfähigen Hybriden kam.
Abbildungen
Abb. 1 (Artikelbild): Das Typusexemplar von Cebuella pygmaea (Spix, 1823), das mit den anderen Affen der Expedition von 1817-1820 im Schaumagazin der ZSM aufbewahrt wird. Foto: M. Unsöld
Abb. 2: Die Abbildung des Zwergseidenäffchens in der Erstbeschreibung von 1823, damals noch als Zwerg-Eichhornaffe bezeichnet.
Abb. 3: Im Röntgenbild sind Schädel, Teile des Extremitätenskeletts, Nägel und die formgebenden Drähte zu erkennen. Foto: A. van Heteren/M. Unsöld
Abb. 4: Zwergseidenäffchen sind in vielen Zoos zu beobachten; hier ein erwachsenes Tier aus dem Zoologisch-botanischen Garten Pilsen. Foto: Roland Wirth